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teile geschieden. Wir haben es mit Streitigkeiten über die
Verfassung zu tun. Wir haben also zunächst zu untersuchen
was wir unter Streitigkeiten zu verstehen haben.
Streitigkeiten sind in letzter Linie Meinungsverschieden-
heiten; darin ist Perels!) und Krick?2) ohne weiteres Recht
zu geben.
Will man beide Begriffe, Streitigkeit und Meinungs-
verschiedenheit trennen, so ist das unterscheidende Kriterium
darin zu erblicken, dass die Meinungsverschiedenheit einen
gütlichen Ausgleich als möglich erscheinen lässt, dass eine
Streitigkeit dagegen nur durch Gewalt oder durch das Ein-
greifen Dritter beigelegt werden kann. Danach wächst sich
die Meinungsverschiedenheit zu einer Streitigkeit aus in dem
Augenblicke, in dem die Möglichkeit einer gütlichen Bei-
legung nach Ansicht der Parteien schwindet; in dem mit
anderen Worten die Einigungsversuche der streitenden Parteien
ein befriedigendes Ergebnis als ausgeschlossen erscheinen lassen.
Wie so eine Meinungsverschiedenheit zu einer Streitigkeit sich
entwickeln kann, dafür bietet die neueste Geschichte ein Bei-
spiel in dern Verhalten und der Stellungnahme der preussischen
und bayerischen Regierung anlässlich der Beratung der Militär-
strafprozessordnung. Der preussische Kriegsminister sprach
sich damals dahin aus: „es erscheine geraten und dem freund-
lichen Verhältnis der beteiligten Bundesstaaten entsprechend,
den Weg der direkten Verständigung offen zu lassen und die
eventuelle Anwendung des Artikels 76 der Reichsverfassung
zunächst nicht in Betracht zu ziehen.* Wegen der ausdrücklich
hervorgehobenen Möglichkeit einer „direkten Verständigung“
lag in diesem Falle eine Streitigkeit nicht vor; eine solche ist
auch nicht entstanden, da die Meinungsverschiedenheit_ tat-
sächlich auf dem Wege direkter Verständigung beigelegt
worden ist, indem beim Reichsmilitärgericht ein bayerischer
Senat eingerichtet wurde.
t) Perels, Streitigkeiten deutscher Bundesstaaten auf Grund des Art. 76
der Reichsverfassung $. 18.
2) Krick, Der Bundesrat als Schiedsrichter zwischen deutschen Bundes-
staaten S.5.
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