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dieser materiell polizeistaatlichen Normen ebenso gesetzwidrig wie
die des jüngsten Gegenwartsrechtes.
Gerade in dieser Hinsicht stehen wir in vollstem Gegensatze
zu der Lösung, die FRITZ FLEINER zu dem von ihm in jedenfalls
hochverdienstlicherweise gestellten, nur bedauerlicherweise auch,
wie uns scheint, nicht befriedigend aufgehellten Probleme gefun-
den hat.
„Der Gesetzgeber des Verfassungsstaates ist jedoch bis heute
nicht in der Lage gewesen, das ganze große Gebiet der Verwal-
tung, das aus den Tagen des Polizeistaates übernommen worden
ist, gesetzlich neu zu gestalten und der Verwaltungsbehörde für
jeden Eingriff in Freiheit und Eigentum der Bürger die Grund-
lage in neuen, unter Mitwirkung der Volksvertretung erlassenen
Gesetzen zu schaffen. Infolgedessen hat die Praxis in Fällen, in
denen ein unabweisliches Bedürfnis zu obrigkeitlichem Einschrei-
ten vorgelegen hat, vorkonstitutionelle Erlasse des Landesherrn
(Kabinettsordres usf.) verfassungsmäßigen Gesetzen gleichgestellt,
um auf diese Weise Eingriffe in Freiheit und Eigentum der Bürger
zu rechtfertigen. Darin liegt ein Notbehelf. Läßt man derartige
Erlasse auch nach Einführung der Verfassungsurkunden als Ge-
setze gelten, trotzdem ibnen die Zustimmung der Volksvertretung
fehlt, so müssen sie um so mehr mit der anderen Garantie rechts-
staatlicher Gesetze ausgestattet sein, nämlich mit der Eigenschaft
der Allgemeinverbindlichkeit; dies setzt weiter voraus, daß sie
ordnungsmäßig sind verkündigt worden“5®. Wenn wir unser Ur-
teil über diese Lehre kurz fassen sollen, so können wir nur sagen,
daß unserem bedeutenden Publizisten im Flusse seiner Rede die
juristische Theorie entschwunden und politische Theorie aufge-
taucht ist; so kam es denn, daß, wie richtig auch seine Aufstel-
lungen vom politischen Standpunkte sein mögen — unverändert
fortwirkendes Polizeistaatsrecht ist mit dem Prinzipe des Verfas-
58 Institutionen, 2. Aufl, Tübingen 1912, S. 118.