8 BISMARCK HAT ZU VIEL GEIST
AN Sünd hast du getragen,
Sonst müßten wir verzagen:
Erbarm dich unser, o Jesu!
Gib uns Frieden, o Jesu!
Das Bild hängt noch heute über meinem Bett.
Im Hause meines Vaters machte Herr von Bismarck die Bekanntschaft
Fürst eines Russen, dem er später noch öfter begegnen sollte, des Fürsten
Gortschakow Alexander Michailowitsch Gortschakow, damals russischen Gesandten in
Stuttgart und zugleich Vertreters des Zaren beim Frankfurter Bundestag.
Mein Vater frug den ihm befreundeten Gortschakow, ob er den neuen preu-
Bischen Gesandten Bismarck schon kenne. Als Gortschakow die Frage ver-
neinte, schlug ihm mein Vater vor, abends bei uns zu speisen, er erwarte
Bismarck zu Tisch. Gortschakow werde einen interessanten Mann kennen-
lernen. Gortschakow kam. Bismarck sprühte von Geist. Gortschakow ver-
hielt sich eher zuhörend. Als Bismarck nach Tisch fortging, um noch an
einer Soiree in einem anderen Hause teilzunehmen, frug mein Vater den
Russen: „N’est-ce pas, qu’il a de l’esprit ?““ Gortschakow erwiderte: „Ilen
a m&me trop.“
Mit Dankbarkeit und Rührung denke ich daran, mit welcher Güte und
Weisheit mein Vater mich erzog. Insbesondere ließ er es sich angelegen sein,
die bedenklichen oder gar schlechten Anlagen, die in jeder Kinderseele
schlummern, rechtzeitig zu bekämpfen. Ich hatte mir ein kleines Tagebuch
angelegt und als Motto auf die erste Seite eingetragen: ‚Non impero sed
imperam‘. Mein Vater nahm mich beim Ohrläppchen und frug: „Was soll
der Unsinn bedeuten?“ Beschämt und verlegen gab ich zu verstehen, ich
hoffte, in späteren Jahren einmal führen, befehlen zu können. Mein Vater
erwiderte: „Erstens sollst du gehorchen lernen, bevor du befehlen kannst.
Und auch wenn du gelernt haben wirst zu gehorchen, ist es noch sehr die
Frage, ob du die Fähigkeit zum Führen haben wirst. Und dann lerne erst
die Grammatik. Es muß nicht heißen ‚imperam‘, sondern ‚imperabo* !“
Als ich einmal mit meinem Vater an einem heißen Tage nach Wiesbaden
fuhr, verfiel ich in der Bahn in einen Halbschlummer. Im Coupe mit uns
befand sich eine etwas affektierte, sehr sentimentale Dame. Ich hörte, wie
sie, auf mich deutend, flüsterte: „Welch schöner Knabe! Das Bild des
schönen Schlafes!““ Als wir, in Wiesbaden angekommen, dort zum Nero-
berg gingen, um die griechische Gruftkapelle zu besichtigen, in der die erste
Gemahlin des Herzogs Adolf von Nassau, eine russische Großfürstin, ruht,
sagte ich zu meinem Vater, ich hätte wohl verstanden, was die freundliche
Dame über mich gesagt hätte. „Du hast‘, erwiderte mein Vater, der sich
auch hier als geborener Pädagoge erwies, „ganz falsch verstanden. Sie hat