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Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen
der Landtage bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei!®, Dieser
Grundsatz ist eine Konsequenz einerseits der Öffentlichkeit der
Landtagsverhandlungern, andrerseits der den Landtagsmitgliedern
eingeräumten Redefreiheit!?. Derselbe war ursprünglich weder
in England noch in den Vereinigten Staaten anerkannt und hat
sich in beiden Ländern erst sehr allmählich durchgesetzt?°. Da-
gegen ist er unter dem Einfluß der französischen Verfassungs-
entwicklung in Deutschland eingeführt?! und durch das Reichs-
strafgesetzbuch reichsrechtlich festgestellt worden ??, Ob ein Bericht
ein wahrheitsgetreuer ist, kann nur nach Lage des einzelnen Falles
entschieden werden. Jedenfalls bezieht sich die Straffreiheit nur auf
Berichte über eine ganze parlamentarische Verhandlung oder eine
ganze Sitzung, nicht auf den Abdruck einer einzelnen Rede®®,
4. Die Landtagsmitglieder sind der Disziplin des Land-
tages oder der betreffenden Kammer unterworfen. Dieselbe wird
durch den Präsidenten ausgeübt, welcher bei unpassenden oder
beleidigenden Äußerungen den ÖOrdnungsruf ergehen läßt. In
einigen Staaten besitzt der Landtag oder die Kammer sogar das
Recht, ein Mitglied wegen unwürdigen Betragens oder beharrlicher
Versäumnis der Sitzungen auszuschließen *%,
18 L. Fuld, Die Straffreiheit wabrheitsgetreuer Reichstagsberichte, in
Ann.D.R. (1887) 251 ff. ; Hubrich, Die Immunität der parlamentarischen Bericht-
erstattung ebenda (1897) 1ff.; Slädelez in der N. 5 angeführten Abhandlung.
1% Während Hubrich a. a.O. 2, 44 ff., den Grundsatz lediglich als eine
Folge der Öffentlichkeit ansieht, will ihn Slädetez a. a. O. 128 gerade aus
der Immunität der Abgeordneten herleiten. Beide Auffassungen sind ein-
Beitig; es hat bei der Festsetzung derselben sowohl das eine als das andere
Moment mitgewirkt.
2° IJnEngland ist erst in diesem Jahrhundert durch ein ausdrückliches
Gesetz (Acte 3 u. 4 Vict. c. 9) bestimmt worden, daß Veröffentlichungen,
welche auf Befehl des Parlamentes erfolgen, straffrei sind; dieses Privileg
seit 44 u. 45 Vict. c. 60 auf alle wahrheitsgetreuen Zeitungsberichte über
Verhandlungen in öffentlichen Versammlungen ausgedehnt. Während früher
die Gerichte von der Ansicht ausgingen, daß für derartige Berichte eine
volle Verantwortlichkeit bestehe (May, Law of parliament Bd. I chap. IV),
hat sich in neuerer Zeit die entgegengesetzte Meinung verbreitet (vgl. die
Außerungen des Lord Chief Justice bei Bar, Redefreiheit 16: Hubrich in
Ann.D.R. (1897) 9, 10: Hatschek, Englisches Staatsr. 1 420) In den Ver-
einigten Staaten ist die Verantwortlichkeit offizieller Veröffentlichungen
anerkannt. Hinsichtlich der privaten Berichte waren die amerikanischen
Juristen verschiedener Meinung. indem z. B. Kent, Commentaries on american
law, 8 ed., New-York 1854, P. II, Sect. XI Nr. 4, sich für, Cooley, a treatise
on the constitutional limitations, 3. ed., Boston 1874, chap. XII p. 459 u. 460
gegen die Verantwortlichkeit aussprach. Letztere Ansıcht darf aber jetzt
als die maßgebende angesehen werden. Vgl. Hubrich a. a. O. 11, 12; Freund,
Amerik, Stnatsr. 46.
*ı Hubrich a. a. O. 12 ff.
22 RStrGB. $ 12.
33 Vgl. auch Entsch. R.G. Strafs. 15 32 ff, 18 207 ff.; Binding, Handb
Strafr. 680 ff.
24 Preuß. Gesch. des H. d. Abg. $ 64 (Fassung vom 6. Mai 1910), Bayr.
G. vom 19. Jan. 1872 Art. 26—28 (dazu G. vom 4. Juli 1904), Württ. Gesch.