Friedrich Wilhelm II. 105
mit seinem Volke verkehrte. Wieder wie in den Tagen Friedrich's J. rühmte
man die inepuisablen Hände des Königs, und noch lange ging im Lande
die Rede von den Geschenken und Adelsbriefen des großen Gnaden—
jahres 1787. Manche Härten des fridericianischen Regiments wurden be—
seitigt; die verhaßte Regie fiel, die Werbeoffiziere empfingen „zum Besten
der Menschheit“ die Weisung, ihr hartes Handwerk mit Mäßigung zu
betreiben. Doch im Wesentlichen blieb die alte Verwaltung unverändert,
nur daß jetzt der Herrschergeist fehlte, der sie zu beseelen verstanden. Das
Heerwesen sank unter greisenhaften Führern; den Veteranen, die noch die
Kränze der sieben Jahre um die Stirn trugen, wagte der König nicht den
Abschied zu geben. Die philanthropischen Ideen des Zeitalters und eine
wohlmeinend schwächliche Nachgiebigkeit gegen die bürgerlichen Interessen
entfremdeten den Staat der spartanischen Strenge Friedrich Wilhelm's I.:
durch das Cantonreglement von 1792 wurde zwar der altpreußische Grund-
satz der allgemeinen Wehrpflicht nochmals als Regel verkündigt, aber zu-
gleich die Ueberzahl der früherhin zugestandenen Ausnahmen gesetzlich
anerkannt und erweitert, also daß der Waffendienst fast ausschließlich die
Bauernsöhne belastete.
Der lebenslustige Hof blieb von wüster Verschwendung weit ent-
fernt: die Hofstaats-Kasse, die jetzt auch an Künstler und Gelehrte er-
hebliche Unterstützungen gab, brauchte im jährlichen Durchschnitt bloß
580,000 Thaler — nicht mehr als unter Friedrich Wilhelm's sparsamem
Nachfolger. Der unwirthschaftliche Sinn des Königs zeigte sich nur in
dem leichtsinnigen Verschenken der Staatsgüter; und noch verderblicher
wurde, daß seine Gutmüthigkeit sich nicht entschließen konnte, anstatt der
aufgehobenen drückenden Abgaben rechtzeitig neue, gerechter vertheilte
Steuern aufzulegen. Die Ueberschüsse, deren dieser Staatshaushalt nicht
entbehren konnte, geriethen bald in's Stocken. Es fehlte der Muth, die
schweren Hindernisse zu überwinden, welche die ständische Verfassung jeder
Erhöhung der Steuerlast entgegenstellte; der König rühmte sich gern der
Erleichterungen, die er seinem geliebten Volke gebracht habe. Als eine
Mobilmachung und zwei Feldzüge den fridericianischen Kriegsschatz fast
geleert hatten, sah sich die Monarchie bald in der demüthigenden Lage,
ihre Machtstellung durch ausländische Hilfsgelder behaupten zu müssen.
Die Sittenlosigkeit in der Hauptstadt nahm furchtbar überhand, seit sie
an dem Vorbilde des Hofes einc willkommene Entschuldigung fand; sie
schoß noch üppiger in's Kraut, seit der nothwendige Rückschlag gegen die
flache Freigeisterei der fridericianischen Tage eintrat und eine krankhaft
mystische Frömmigkeit in den Hofkreisen modisch wurde. Es bezeichnet die
ungeheure Macht des neuen literarischen Idealismus, daß die öffentliche
Meinung forthin jedes preußische Regierungssystem nach dem Geiste beur-
theilt hat, der in der Leitung des Kirchen= und Unterrichtswesens vor-
herrschte. Ganz Deutschland hallte wieder von zornigem Tadel, als der