112 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
Es war die nothwendige Folge dieser kleinmüthigen Friedenswahrung,
daß Hertzberg bald nachher durch den längst schon mächtigen Günstling
Bischoffwerder ganz zur Seite geschoben wurde; sehr unglücklich in der
Wahl der Mittel, hatte er doch mindestens einen Grundgedanken der
fridericianischen Staatskunst niemals aufgegeben, die stolze Unabhängig-
keit der preußischen Politik von den Befehlen der Hofburg immer zu be-
haupten gesucht. Mit Bischoffwerder kam eine völlig neue Richtung an's
Regiment: die Politik des friedlichen Dualismus. Sie hoffte, in schroffem
Gegensatze zu den Anschauungen der jüngsten glorreichen fünfzig Jahre,
durch ein österreichisches Bündniß den Bestand des Staates, vornehmlich
gegen Rußland zu sichern; sie verzichtete auf jeden Gedanken der Reichs-
reform und dachte in treuem Einvernehmen mit dem Kaiserhause die deut-
schen Dinge zu leiten. Im Frühjahr 1791 begann Bischoffwerder die Ver-
handlungen über das österreichisch-preußische Bündniß. Unklarer, unglück-
licher konnten sich Deutschlands Geschicke nicht gestalten. Der Bund der
beiden unversöhnten Feinde war von Haus aus eine Unwahrheit; es fehlte
hüben wie drüben das rückhaltlose Vertrauen. Die große Mehrzahl der
preußischen Staatsmänner hing noch fest an den fridericianischen Ueber-
lieferungen, verfolgte mit wachem Argwohn jeden Schritt des Wiener Ca-
binets; in der Hofburg hatte man weder die Eroberung Schlesiens noch
die Reichenbacher Demüthigung verziehen und war keineswegs gesonnen,
den nordischen Emporkömmling als einen gleichberechtigten Genossen zu
behandeln. Von allen den großen Machtfragen, welche sich trennend zwi-
schen die beiden Nebenbuhler stellten, war keine einzige gelöst. Das Bündniß
zwischen Oesterreich und Rußland blieb vorderhand noch aufrecht, gegen die
Erwartung des Berliner Hofes. Die reichsfürstliche Ergebenheit des Kö-
nigs beirrte den Kaiser nicht in der alten Ueberzeugung, daß jede Er-
weiterung der preußischen Macht im Reiche ein Unheil für Oesterreich sei;
der Wiener Hof sah mit schwerer Besorgniß, wie Preußen die alten Stamm-
lande Ansbach-Bayreuth mit der Monarchie vereinigte und also zum ersten
male im Süden Deutschlands festen Fuß faßte, die gefährliche Position
in der Flanke Böhmens gewann. Noch greller zeigte sich der Gegensatz
der Interessen der beiden Bundesgenossen in der polnischen Frage.
Beide Mächte wünschten die polnische Adelsrepublik aufrecht zu halten
als ein Bollwerk gegen Katharina's rastlos ausgreifende Eroberungspolitik.
Die mechanische Staatsauffassung der Zeit gefiel sich in Künsteleien; durch
ein erklügeltes System des Gleichgewichts, durch willkürlich gebildete Klein-
staaten, die man als Polsterkissen zwischen die großen Mächte einschob,
meinte sie den Frieden zu sichern, den nur die innere Gesundheit lebens-
kräftiger nationaler Staaten verbürgen konnte. Weder in Wien noch in
Berlin war man zu der Erkenntniß gelangt, daß dieser Staat des zucht-
losen Junkerthums nicht mehr leben konnte, daß die polnische Freiheit
nichts anderes war als die Fremdherrschaft sarmatischer Magnaten und