Erster Abschnitt.
Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
Die deutsche Nation ist trotz ihrer alten Geschichte das jüngste unter
den großen Völkern Westeuropas. Zweimal ward ihr ein Zeitalter der
Jugend beschieden, zweimal der Kampf um die Grundlagen staatlicher
Macht und freier Gesittung. Sie schuf sich vor einem Jahrtausend das
stolzeste Königthum der Germanen und mußte acht Jahrhunderte nachher
den Bau ihres Staates auf völlig verändertem Boden von Neuem be—
ginnen, um erst in unsern Tagen als geeinte Macht wieder einzutreten
in die Reihe der Völker.
Sie hatte einst in überschwellendem Thatendrang die Kaiserkrone der
Christenheit mit der ihren verbunden, ihr Leben ausgeschmückt mit allen
Reizen ritterlicher Kunst und Bildung, Ungeheures gewagt und geopfert
um die Führerschaft des Abendlandes zu behaupten. In den weltum—
spannenden Kämpfen ihrer großen Kaiser ging die Macht der deutschen
Monarchie zu Grunde. Auf den Trümmern des alten Königthums erhebt
sich sodann eine junge Welt territorialer Gewalten: geistliche und weltliche
Fürsten, Reichsstädte, Grafen und Ritter, ein formloses Gewirr unfertiger
Staatsgebilde, voll wunderbarer Lebenskraft. Mitten im Niedergange der
kaiserlichen Herrlichkeit vollführen die Fürsten Niedersachsens, die Ritter
des deutschen Ordens und die Bürger der Hansa mit Schwert und Pflug
die größte Colonisation, welche die Welt seit den Tagen der Römer ge—
sehen: die Lande zwischen Elbe und Memel werden erobert und besiedelt,
die skandinavischen und die slavischen Völker auf Jahrhunderte hinaus
deutschem Handel, deutscher Bildung unterworfen. Aber Fürsten und
Adel, Bürgerthum und Bauerschaften gehen jeder seines eigenen Weges;
der Haß der Stände vereitelt alle Versuche, diese Ueberfülle schöpferischer
Volkskräfte politisch zu ordnen, die zerfallende Staatseinheit in bündischen
Formen wieder aufzurichten.
Dann hat Martin Luther nochmals begeisterte Männer aus allen
Stämmen des zersplitterten Volkes zu großem Wirken vereinigt. Der
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