Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

124 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. 
Frankreich war es, Frankreich allein, das Angesichts dieser friedfer- 
tigen Haltung der deutschen Mächte den Krieg erzwang. Das Grund- 
gesetz der constitutionellen Monarchie war kaum vereinbart, so arbeiteten 
die Doctrinäre der Gironde bereits an seiner Vernichtung; sie wollten die 
Republik und erkannten rasch, daß eine Kriegserklärung gegen den Schwager 
des Königs das Ansehen des Thrones unrettbar erschüttern, daß die letzten 
armseligen Ueberreste des alten Königthums zusammenbrechen mußten, 
sobald die Sturmfluth der revolutionären Propaganda über den Welt- 
theil dahin fegte. Der Widerwille der ungeheuren Mehrheit der Nation 
gegen die Republik sollte durch den Glanz kriegerischer Erfolge, durch das 
alte theure Traumgebilde der natürlichen Grenzen beschwichtigt, die Geld- 
noth des Staates durch einen großen Beutezug geheilt werden. Bei dem 
reizbaren Stolze der tief erregten Nation und ihrer gründlichen Unkennt- 
niß ausländischer Zustände fiel es der wilden Rhetorik der Brissot, Guadet 
und Gensonné nicht schwer, aus Wahrem und Falschem ein kunstvolles 
Trugbild zu weben, die thörichten Briefe des unglücklichen Hofes, den 
offenen Verrath der Emigranten in Zusammenhang zu bringen mit den 
unvorsichtigen Worten der Erklärungen von Padua und Pillnitz. Das 
Volk begann zu glauben, daß seine neue Freiheit durch eine finstere Ver- 
schwörung aller alten Mächte gefährdet sei, daß man das Schwert ziehen 
müsse um das Recht der nationalen Selbstbestimmung gegen die Vor 
mundschaft Europas zu wahren. Derweil die kriegerische Stimmung in 
der Gesetzgebenden Versammlung von Tag zu Tag wuchs, zeigte man in 
den Verhandlungen mit dem Kaiser schnöden Uebermuth, bot den Reichs- 
ständen im Elsaß nicht einmal eine bestimmte Entschädigung. Dann 
forderte das Haus, hingerissen von den flammenden Reden der Gironde, 
die feierliche Erklärung des Kaisers, daß er den Plan einer europäischen 
Vereinigung aufgebe und, gemäß den alten Bundesverträgen der Bour- 
bonen, Frankreich zu unterstützen bereit sei — bei Strafe sofortigen Krieges. 
Da Leopold eine würdige maßvolle Antwort gab, wurde am 20. April 
1792 der Krieg gegen Oesterreich erklärt. Frevelhafter waren selbst die 
Raubzüge Ludwig's XIV. nicht begonnen worden als dieser Kampf, der 
nach allem menschlichen Ermessen das ungerüstete Frankreich in schimpf- 
liche Niederlagen stürzen mußte. Eine doctrinäre Rede Condorcet's ver- 
kündete sodann der Welt, wie das Princip der republikanischen Freiheit 
sich gegen den Despotismus erhebe. Dem gesammten alten Europa ward 
der Handschuh hingeworfen; für Preußen aber trat der Wiener Vertrag 
in Kraft, der unterdessen durch ein förmliches Vertheidigungsbündniß 
ergänzt worden war. 
Der Krieg wurde den deutschen Mächten aufgedrungen. Fast im 
selben Augenblicke rückten die russischen Truppen jeden Widerstand nieder- 
schmetternd in Polen ein, der Wille der Czarin gebot an der Weichsel. 
Wieder wie so oft schon befand sich die centrale Macht des Festlandes
	        
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