Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

212 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. 
einst im kaiserlichen Rom, und wieder wie in den Tagen des Augustus 
versammelte sich ein weltbürgerliches Publikum, das mit feinem Urtheil 
aus dem Schönen das Schönste herausfand; erst in der Weltgalerie des 
Louvre ist die überwältigende Größe Rafael's erkannt worden. Den deut- 
schen Schöngeistern ward es in den heimischen Kleinstädten zu eng, sie 
eilten nach der Seine und berauschten sich an den edlen wie an den ge- 
meinen Freuden der Hauptstadt der Welt. Aber mitten in dem sinn- 
berückenden Glanze blieb ihnen das Gefühl der eigenen Ueberlegenheit; 
sie vergaßen es nicht, daß die Franzosen an dieser zusammengeraubten 
Herrlichkeit gar kein Verdienst hatten, sondern soeben erst, durch die Werke 
Laplace's, langsam begannen aus der Barbarei wieder zur Cultur emporzu-- 
steigen. Während Friedrich Schlegel die Schildkrötensuppen und die nackten 
Actricen der neuen Babylon bewundert, schreibt er zugleich: „Paris hat den 
einzigen Fehler, daß ziemlich viel Franzosen dort sind“, und seine Dorothea 
fügt hinzu: „wie dumm die Franzosen sind, das ist ganz unglaublich.“ 
Schöner als diese spottlustigen Weltkinder hat Schiller den Nationalstolz 
seines Denkervolkes ausgesprochen. Er wußte, daß die Siege Kant's und 
Goethe's schwerer wogen als die Lorbeeren von Marengo, daß die Deutschen 
noch immer ein Recht hatten, ihre prahlerischen Nachbarn an die ewigen 
Güter der Menschheit zu erinnern, und sagte über das Pantheon der 
Pariser Plünderer stolz und groß: 
Der allein besitzt die Musen, 
Der sie trägt im warmen Busen; 
Dem Vandalen sind sie Stein! 
  
Dahin war es nun schon gekommen, daß nur noch ein Bund der 
vier großen Mächte das übermächtige Frankreich in seine Schranken zurück- 
weisen konnte. Aber Oesterreich hatte die Schläge der letzten Kriege noch 
nicht verwunden. Der junge Czar begann zwar seit dem Frühjahre 1803 
ernstlich besorgt zu werden über die Unersättlichkeit der napoleonischen 
Politik, die er in den deutschen Entschädigungshändeln genugsam kennen 
gelernt, doch seine knabenhafte Unsicherheit fand noch keinen festen Ent- 
schluß. Preußen bemühte sich ängstlich, das Gleichgewicht zu behaupten 
zwischen den gefürchteten beiden Kolossen des Ostens und des Westens, 
Rußlands Freundschaft zu bewahren ohne Frankreich zu verletzen. Nur in 
der glücklichen Sicherheit des britischen Inselreichs fühlte man sich stark genug 
den Dingen in's Gesicht zu sehen. Der Friede von Amiens, der den Krieg 
zwischen den beiden Todfeinden abgeschlossen hatte, erwies sich sofort als ein 
unsicherer Waffenstillstand; in Italien, in Holland, in der Schweiz, in 
Deutschland, überall drang der erste Consul herrisch vor, ohne jede Rücksicht 
auf die Verträge. Schwerer als all dies wog in den Augen des Handels- 
volks die Verletzung der wirthschaftlichen Interessen der Insel: die Nation. 
fühlte sich in den Grundfesten ihrer Macht bedroht, als Frankreich, Spanien,
	        
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