Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Unterwerfung der norddeutschen Fürsten. 255 
Napoleon's scharfes Auge erkannte rasch, daß er in Norddeutschland 
die Zügel seiner Herrschaft straffer anziehen mußte als in den Kernlanden 
des Rheinbundes. Im Süden umgaben ihn Frankreichs erprobte Bundes— 
genossen, die ihre neugebildeten Staaten gelehrig nach neufranzösischen 
Grundsätzen regierten; im Norden fand er ein zäheres, dem gallischen 
Wesen völlig unzugängliches Volksthum, eine streng protestantische Cultur, 
schwerfällige altständische Verfassungen, alte mit Preußen, England und 
Rußland eng verbundene Fürstengeschlechter. Darum griff er hier von 
Haus aus schärfer ein, behielt sich die ganze Masse des Nordwestens, die 
Lande der Welfen, Hessen und Oranier, zur Ausstattung seiner eigenen 
Verwandten vor. Nur eine der eingesessenen norddeutschen Dynastien 
war ihm als ein natürlicher Freund willkommen: die alten Nebenbuhler 
der Hohenzollern, die Albertiner, für deren Souveränität er ja angeblich 
die Waffen ergriffen hatte. Am 11. December wurde Kursachsen durch 
den Posener Frieden in den Rheinbund aufgenommen und mit der Königs- 
krone begnadigt. Um den neuen König für immer von Preußen zu trennen 
versprach ihm Napoleon, zum Austausch gegen das Mansfeldische Land, 
die preußische Niederlausitz, den treuen Cottbuser Kreis, und befahl ihm 
sofort ein Hilfscorps gegen den verrathenen Bundesgenossen in's Feld zu 
senden. Auch die persönliche Dankbarkeit des bigotten Friedrich August ge- 
wann sich der Imperator, da er die Gleichberechtigung der Katholiken und 
der Protestanten in Sachsen anordnete, eine Neuerung, welche der Dresdner 
Hof bei seinen hartlutherischen Ständen niemals hätte durchsetzen können. 
Dieser letztere Schritt Napoleon's war übrigens mehr als ein diplomatischer 
Schachzug; denn immer deutlicher von Jahr zu Jahr trat die innere Ver- 
wandtschaft hervor, welche jedes moderne Weltreich mit der römischen Welt- 
kirche verbindet. Auch der Erbe der Revolution konnte den Beistand Roms 
nicht entbehren, so wenig wie einst Karl V.; seine Briefe an den heiligen 
Stuhl wie seine Botschaften an den Senat betonten nachdrücklich, wie er 
überall unsere heilige Religion von ihren protestantischen Verfolgern be- 
freit habe und den Todfeind der römischen Kirche, England, unablässig 
bekämpfe. 
In Kursachsen aber feierte die deutsche Unterthänigkeit ihre Satur- 
nalien, gemeiner noch als ein Jahr zuvor in Baiern. Wie fühlte man 
sich so glücklich, dem stolzen preußischen Nachbarn endlich wieder im Range 
gleich zu stehen! Auf Neujahr 1807, während an der Weichsel um die 
letzten Splitter deutscher Freiheit gefochten wurde, veranstaltete die Stadt 
Leipzig ein prächtiges Freudenfest zu Ehren der neuen Rautenkrone. Die 
Sonne Napoleon's, das prahlerische Sinnbild, das er von seinem Vor- 
fahren Ludwig XIV. entlehnt hatte, leuchtete weithin durch die geschmückten 
Gassen. Auf dem Markte prangte der Altar des Vaterlandes; die Stu- 
denten rückten in feierlichem Zuge heran und verbrannten dort ihre Fackeln 
unter dem Jubelgesange: „gerettet ist das Vaterland!“ Auch die Cadaver
	        
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