Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

256 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. 
in der akademischen Anatomie schlossen sich dem kursächsischen National- 
vergnügen an: eine erleuchtete Inschrift über der Eingangsthür verkündete: 
„Selbst die Todten rufen: Lebel“ 
Die übrigen kleinen Herren des Nordens waren in Napoleon's Augen 
nur preußische Vasallen und Offiziere, gern hätte er sie allesammt ent- 
fernt. Aber die zerstreute Lage dieser wundersamen Staatsgebilde er- 
schwerte die Einverleibung, auch stand ein zuverlässiger Rheinbunds- 
könig, dem man sie schenken konnte, augenblicklich nicht zur Verfügung. 
Den Imperator gquälten ernstere Sorgen, er legte auf die Frage nicht 
mehr Werth als sie verdiente und wünschte vor Allem raschen Abschluß 
des Handels, weil er die kleinen Contingente sogleich in dem preußischen 
Kriege verwenden wollte. So fanden denn die Kleinfürsten Thüringens 
und Westphalens eine leidliche Aufnahme, als sie, die Einen persönlich, 
die Andern durch ihre Minister, im Hauptquartiere zu Posen die Gnade 
des Siegers anflehten. Zum dritten male begann das ekelhafte Schau- 
spiel des deutschen Länderhandels, zum dritten male floß das Gold deutscher 
Fürsten in die unergründlichen Taschen der napoleonischen Diplomatie, 
und das Geschäft verlief glücklich, da die bedrängten Kleinen in dem 
nassauischen Staatsmanne Hans von Gagern einen rührigen und un- 
eigennützigen Makler fanden. Dieser wunderliche Verehrer der altdeutschen 
Freiheit hatte aus seinen gelehrten reichsgeschichtlichen Forschungen den 
Schluß gezogen, daß der reine Germanismus, die wahre Größe Deutsch- 
lands in der buntscheckigen Zersplitterung seines Staatlebens bestehe. 
Als er nun von den Aengsten der kleinen Herren des Nordens erfuhr, 
eilte er spornstreichs herbei, nahm sich der Bedrohten an und hielt durch 
seine vielgeschäftige Zudringlichkeit seinen alten Gönner Talleyrand der- 
maßen in Athem, daß der Franzose, ohnehin ein stolzer Aristokrat und 
dem deutschen hohen Adel wohlgesinnt, endlich auf alle Wünsche des 
Unermüdlichen einging. Auch der Humor fehlte nicht, der eines solchen 
Gegenstandes würdig war. „Schenken Sie mir einige Ihrer kleinen 
Fürsten,"“ rief einmal Talleyrand's Gehilfe La Besnardiere. „Nicht einen," 
erwiderte der heitere Lebensretter der Kleinstaaterei, „Sie müssen sie alle 
hinunterschlucken, und sollten Sie daran ersticken!“ 
So geschah es, daß die Ernestiner und die Ascanier, die Reuß und 
Schwarzburg, die Lippe und Waldeck als Souveräne in den Rheinbund 
eintraten. Der Graf von Bückeburg erschlich sich nebenbei den Fürsten- 
titel, da die Franzosen das Geschäft mit geringschätziger Leichtfertigkeit 
betrieben und in dem Vertrage kurzweg von den beiden Fürsten von Lippe 
sprachen. Napoleon aber klagte nachher ärgerlich, in diesem Handel sei 
er zum ersten male betrogen worden; hätte er gewußt, wo die Reuß, 
Lippe und Waldeck eigentlich säßen, so würden sie ihre Throne nicht be- 
halten haben. Er vergaß auch niemals, daß diese Dynasten des Nordens 
einst den Kern der preußischen Partei im Reiche gebildet hatten. Darum
	        
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