260 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
anfing sprichwörtlich zu werden. Während sich drei Jahre früher in London
keine Hand gerührt hatte um Hannover gegen die Franzosen zu ver-
theidigen, wurde Preußen für die Besetzung des Kurfürstenthums sofort
durch eine Kriegserklärung bestraft; und auch als der preußische Hof im
Januar 1807 mit England Frieden geschlossen, alle seine Ansprüche auf
Hannover aufgegeben hatte, that das Cabinet von St. James gar nichts
um den neuen Bundesgenossen gegen den gemeinsamen Feind zu unter-
stützen. Nicht einmal ein Subsidienvertrag kam zu Stande. Graf Münster,
dessen Rath in London bei allen deutschen Angelegenheiten den Ausschlag
gab, konnte das alte welsische Mißtrauen gegen Preußen nicht überwinden.
Oesterreich wurde selbst durch die erschreckende Kunde von dem polnischen
Aufruhr nicht aus seiner Neutralität aufgescheucht. Beide Theile warben
wetteifernd um die Hofburg. Napoleon bot ihr Schlesien zum Austausche
gegen Galizien; der Czar sendete den Todfeind des Hauses Bonaparte,
Pozzo di Borgo, mit dringenden Mahnungen nach Wien; der König von
Preußen erklärte sich in seiner Bedrängniß sogar bereit, einem öster-
reichischen Hilfsheere die vorläufige Besetzung der schlesischen Festungen
zu gestatten. Doch Erzherzog Karl blieb obenauf mit seiner friedfertigen
Politik; um die Unthätigkeit zu bemänteln erbot sich Oesterreich endlich zu
einer Friedensvermittelung, die in solcher Lage nichts fruchten konnte. Die
Freundschaft des Czaren bot der wankenden preußischen Monarchie die
letzte Stütze, und an schönen Worten ließ es der schwärmerische junge
Herr nicht fehlen, als er im Frühjahre selber auf dem Kriegsschauplatze
erschien. Wie strahlte er in zärtlicher Liebenswürdigkeit inmitten der
königlichen Familie: verzückte blaue Augen und doch verschwommen, ohne
Tiefe; edle und doch unreife, halb durchgearbeitete Züge. „Nicht wahr?
Keiner von uns beiden fällt allein!“ sagte er inbrünstig zu seinem un-
glücklichen Freunde. Mancher ehrliche Preuße meinte nun erst Alexander's
großes Herz ganz zu verstehen.
Es bezeichnet Hardenberg's ganzes Wesen, seinen unerschrockenen
Muth wie seine leichtlebige Beweglichkeit, daß er in solcher Zeit, während
Preußens Dasein noch in Frage stand, bereits einen großgedachten, weit-
umfassenden Plan für die Neuordnung Deutschlands und des gesammten
Staatensystems zu entwerfen wagte. Mehr als zehn Jahre lang hatte
er der Hoffnung gelebt, mit Frankreichs Beistand eine norddeutsche Groß-
macht, die dem Hause Oesterreich die Wage hielte, zu bilden; sobald er
die Hohlheit dieser Träume erkannte, ergriff er sofort ein neues System
deutscher Politik, dem er dann bis zum Tode treu blieb: die Politik des
geregelten Dualismus. Gar zu vernehmlich hatte doch das Schicksal ge-
sprochen: vereinzelt waren Oesterreich und Preußen unterlegen, nur ihre
treue Eintracht konnte Deutschland befreien. In diesem Gedanken be-
gegnen sich während der folgenden Jahre alle preußischen Patrioten ohne
Unterschied der Partei; wie ein Naturlaut bricht er gleichzeitig aus hun-