18 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
Hauses zu mehren, sondern sich redlich bemühten in ihren engen Gebieten
die politischen Pflichten zu erfüllen, denen das Reich sich versagte. Das
Kaiserhaus lebte seinen europäischen Plänen, der Reichstag haderte um
leere Formen; in den Territorien wurde regiert. Hier allein fanden
das Recht, der Wohlstand, die Bildung des deutschen Volkes Schutz und
Pflege. Unsere Fürsten hatten einst das Kleinod deutscher Geistesfreiheit
gerettet im Kampfe gegen das Haus Habsburg. In der langen matten
Friedenszeit nachher blühte jene treufleißige Kurfürstenpolitik, die, jedes
großen Gedankens baar, ängstlich zurückschreckend vor den geschwinden
Händeln der europäischen Kämpfe, ihre wohlwollende Sorgfalt allein dem
Gedeihen des eignen Ländchens widmete. Die durch wunderliche Glücks-
fälle zusammengewürfelten Ländertrümmer verwuchsen nach und nach zu
einer kümmerlichen politischen Gemeinschaft. Die Territorien wurden zu
Staaten. In der Enge ihres Sonderlebens bildete sich ein neuer Parti-
cularismus. Der Kursachse, der Kurpfälzer, der Braunschweig-Lüne-
burger hing mit fester Treue an dem angestammten Fürstenhause, das
so lange Freud' und Leid mit seinem Völkchen getheilt. In der Hand
der landesfürstlichen Obrigkeit lag sein und seiner Kinder Glück; das
große Vaterland ward ihm zu einer dunklen Sage. Nach dem dreißig-
jährigen Kriege waren es wieder die Landesherren, nicht Kaiser und Reich,
die dem Bürger und Bauern halfen seine verwüsteten Wohnplätze auf-
zubauen, kärgliche Trümmer des alten Wohlstandes aus der großen Zer-
störung zu retten; ihrem Karl Ludwig dankte die Pfalz die Wiederkehr
froherer Tage. Das weltliche Fürstenthum, das mit seiner dreisten Selbst-
sucht jedes Band nationaler Gemeinschaft zu zersprengen drohte, stand
doch rührig und wirksam mitten im Leben der Nation. War ein Neu-
bau des deutschen Gesammtstaates noch möglich, so konnte er nur auf
dem Boden dieser Territorialgewalten sich erheben. —
In solchem Chaos von Widersprüchen hatte jede Institution des
Reichs ihren Sinn, jedes Recht seine Sicherheit verloren. Der Mehrer
des Reichs mehrte seine Hausmacht zu Deutschlands Schaden. Das ehr-
würdige Amt des Reichskanzlers in Germanien, der vormals der natürliche
Führer der Nation in allen ihren Verfassungskämpfen gewesen, ward in
den Händen des Mainzer Erzbischofs nach und nach ein gefügiges Werk-
zeug österreichisch-katholischer Parteipolitik. Die Wahlcapitulation, vor
Zeiten bestimmt den dynastischen Mißbrauch der kaiserlichen Gewalt zu
verhindern, diente jetzt die dynastische Willkür der Landesherren von jedem
Zwange zu entfesseln. Der Reichstag hatte sich gleich den Generalstaaten
der Niederlande aus einer Ständeversammlung thatsächlich in einen
Bundestag verwandelt und vermochte doch niemals, wie jene, ein gesundes
bündisches Leben auszubilden. Ueberall widersprachen die Formen des
Rechtes den lebendigen Mächten der Geschichte. Die Reichsverfassung legte
das Recht der Mehrheit in die Hand der schwächsten Stände; sie zwang