Die Lüge des Reichsrechts. 19
die Mächtigen zu dem trotzigen Bekenntniß: was dem Reiche zugeht wird
unserer Freiheit genommen. Ein dichter Nebel von Phrasen und Lügen
lag über den gothischen Zinken und Zacken des alten Reichsbaues; in
keinem Staate der modernen Welt ist so beharrlich und feierlich von Amts-
wegen gelogen worden. Die frommen reichsväterlichen Vermahnungen der
entdeutschten kaiserlichen Majestät, die inbrünstigen reichspatriotischen Be-
theuerungen der mit dem Auslande verschworenen Reichsstände, die prahle-
rischen Reden von deutscher Libertät und dem ungebeugten Nacken der
Nation, Alles, Alles in diesem Regensburger Treiben erscheint dem red-
lichen Sinne als eine grobe Unwahrheit.
Seit jenen müden Tagen nach dem Augsburger Frieden, die den alten
deutschen Stolz in zagen Philistersinn verwandelten, kam in unserem Volke
die kleinmüthige Neigung auf, nach Trostgründen zu suchen für das Un-
leidliche und Schmachvolle; die deutsche Geduld ließ sich's nicht nehmen,
selbst den Aberwitz dieser Reichsverfassung wissenschaftlich zu erklären und zu
rechtfertigen. Vergeblich erhob Samuel Pufendorf seine mahnende Stimme
und schilderte das Reich wie es war, als ein politisches Ungeheuer. Da
die Leidenschaft der Glaubenskriege allgemach verrauchte und die Unwahr-
heit der theokratischen Reichsformen im täglichen Leben wenig mehr
empfunden wurde, so ließ sich die zünftige Rechtsgelahrtheit in ihrer
unterthänigen Ruheseligkeit nicht stören. Noch immer versicherten einzelne
Caesarianer aus Reinkingk's Schule, das heilige Reich sei eine Monarchie
und sein Kaiser der rechtmäßige Nachfolger von Divus Augustus. Andere
priesen die Ohnmacht des Reichs und die Zuchtlosigkeit seiner Glieder
als das Palladium deutscher Freiheit. Die Meisten fanden in dem be-
glückten Deutschland das Idealbild des gemischten Staates verwirklicht, der
alle Vorzüge anderer Staatsformen in sich vereinigen solle. Selbst ein
Leibniz vermochte dem Bannkreise dieser wissenschaftlichen Traumwelt nicht
zu entfliehen.
Die Fäulniß eines solchen Staatslebens begann bereits den recht-
schaffenen Gradsinn des Volkscharakters zu zerstören. Ein Menschenalter
voll namenloser Leiden hatte den bürgerlichen Muth gebrochen, den kleinen
Mann gewöhnt vor dem Mächtigen zu kriechen. Unsere freimüthige Sprache
lernte in allerunterthänigster Ergebenheit zu ersterben und bildete sich
jenen überreichen Wortschatz von verschnörkelten knechtischen Redensarten,
den sie noch heute nicht gänzlich abgeschüttelt hat. Die gewissenlose Staats-
raison des Jahrhunderts vergiftete auch den bürgerlichen Verkehr. Das
geldgierige Geschlecht warb, wetteifernd in Bestechung und Ränkespiel, um
die Gnade der Großen; kaum daß sich noch in der Stille des häuslichen
Lebens ein Hauch treuherziger Gemüthlichkeit verspüren ließ. Der Edel-
mann strebte die Herrschaft, die er in den Landtagen gegen die aufsteigende
Monarchie nicht mehr behaupten konnte, durch höfischen Einfluß und durch
die Mißhandlung des Landvolks von Neuem zu befestigen; niemals in
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