352 I. 3. Preußens Erhebung.
Jahre später, als der Graf piemontesischer Minister war, ließ ihn der
König wiederholt seines vollen Vertrauens versichern.)
Was wog das Wohlwollen des Gesandten, da sein Herr unerbittlich
blieb? Immer drohender und stürmischer wurden Napoleon's Mahnungen.
Zwar einen Krieg gegen Preußen beabsichtigte er jetzt nicht: — dann
wäre der Entscheidungskampf mit Rußland zur Unzeit ausgebrochen. Doch
die Gelegenheit schien günstig, dem verhaßten Staate im Frieden aber-
mals eine Provinz zu entreißen. Bald erfuhr man, der Imperator wolle
auf seine Geldforderungen verzichten — gegen die Abtretung von Schlesien!
Auch die Minister sahen keinen anderen Ausweg mehr, sie kamen zurück
auf jenen verzweifelten Gedanken einer neuen Gebietsverkleinerung, welchen
Schön bereits vor dritthalb Jahren ausgesprochen hatte. Am 10. März
1810 gestand Altenstein dem Fürsten Wittgenstein, der Staat sei ver-
loren, wenn man nicht auf einen Theil von Schlesien verzichte. Zwei
Tage darauf erklärte das Ministerium dem Monarchen einmüthig: im
äußersten Falle müsse man sich durch eine Landabtretung von Napolcon
loszukaufen suchen. Dahin also war es mit Preußen gekommen, daß selbst
Scharnhorst zu einer kleinmüthigen That rieth, welche dem unglücklichen
Staate sein letztes Ansehen rauben mußte. Fürst Wittgenstein war ein
Hofmann des gemeinen Schlages, ängstlich, glatt, schlau und frivol, ein
abgesagter Gegner Stein's. Die Ungeheuerlichkeit dieses Vorschlags brachte
ihn doch in Harnisch; entrüstet berichtete er Alles seinem königlichen
Herrn und machte dringende Gegenvorstellungen. Dem Könige, der dies
unfähige Ministerium nie sonderlich geachtet, riß die Geduld: er war
sofort entschlossen seine Räthe zu entlassen. Seinem klugen Oberkammer=
herrn hat er diese patriotische That nie vergessen; seit jenen Tagen besaß
Wittgenstein einen mächtigen stillen Einfluß, der sich noch oft, und meist
zum Schaden der Monarchie zeigen sollte. Darauf verständigte sich
Friedrich Wilhelm mit Hardenberg, und nach langen Verhandlungen in
Paris ließ sich auch Napoleon herbei, den Wiedereintritt des verfehmten
Staatsmannes zu gestatten. Er mußte einsehen, daß bei dem entschiedenen
Widerwillen des Königs die friedliche Erwerbung von Schlesien unmöglich
war; genug vorderhand, wenn ein fähiger Mann die Leitung der preußi-
schen Finanzen übernahm und die pünktliche Abzahlung der Contribution
verbürgte. Zu Anfang Juni 1810 erhielt Altenstein den Abschied, und
Hardenberg trat in das Amt. Die zweite Epoche der preußischen Re-
formen begann. —
Während das preußische Volk mit zorniger Ungeduld der Stunde
der Befreiung entgegensah, wurde im rheinbündischen Deutschland die
Schande des Vaterlands nur in einigen Landstrichen und in vereinzelten
*) So noch in einem Briefe des Königs an K. Victor Emanuel von Sardinien
vom 15. März 1821.