Einverleibung der Nordseeküste. 365
bon; dann sollte ein kaiserliches Decret, das bereits fertig vorlag, den
Völkern der iberischen Halbinsel verkünden, daß auch sie jetzt dem großen
Reiche angehörten und ihr Kaiser Herr sei über alle Küsten vom Sunde
bis zu den Dardanellen: „Der Dreizack wird sich mit dem Schwerte ver—
einen und Neptun sich mit Mars verbinden zur Errichtung des römischen
Reiches unserer Tage. Vom Rhein bis zum atlantischen Ocean, von
der Schelde bis zum adriatischen Meer wird es nur ein Volk, einen
Willen, eine Sprache geben!“ —
So war die Lage der Welt, als Hardenberg die Leitung der preußi-
schen Politik übernahm. Wenige Wochen nach seinem Eintritt traf den
Monarchen ein erschütternder Schlag; Königin Luise starb gebrochenen
Herzens, sie schwand dahin wie die Blume, die des Lichts entbehrt. Ihre
letzten Sorgen noch hatten dem Vaterlande gegolten, Hardenberg's Rück-
kehr war zum guten Theile ihr Werk. Dem Wittwer blieb eine namen-
lose Wehmuth im Herzen zurück; niemals konnte er der Entschlafenen
vergessen, niemals hat er das volle freudige Gefühl der Lebenslust wieder-
gefunden. Das treue Volk trauerte mit ihm. So viel Raub, Hohn und
Schmach hatte man ertragen; und nun war sie auch noch hingegangen,
zu Tode gequält von dem rohen Sieger, die Holdeste und Edelste der
deutschen Frauen! Die alte fromme Ehrfurcht der Germanen vor der
Würde des Weibes ward wieder rege; mit schwärmerischer Andacht schaute
dies romantische Geschlecht zu dem Bilde der Verklärten empor, und zu
all den zornigen Gedanken, die der preußischen Jugend das Herz bewegten,
gesellte sich jetzt noch der Entschluß den Schatten dieser hohen Frau zu
rächen. Auf Aller Lippen war das stolze Wort, das sie einst in den Tagen
der höchsten Noth gesprochen: „wir gehen unter mit Ehren, geachtet von
Nationen, und werden ewig Freunde haben weil wir sie verdienen!“
Hardenberg hatte das sechzigste Lebensjahr bereits vollendet; er brachte
freilich nicht die ungebrochene Lebenskraft, doch den zuversichtlichen Muth
eines Jünglings mit in sein schweres Amt. Ein vornehmer Herr aus
altem reichem Hause, wie Stein, war er von diesem durch Charakter,
Lebensansicht, Bildungsgang weit geschieden. Die Schwächen des Einen
lagen genan da wo der Andere seine Stärke zeigte, und nicht zufällig
entstand allmählich zwischen den beiden Reformern jene Abneigung, die
zuerst von Stein mit leidenschaftlicher Heftigkeit ausgesprochen, nachher
von Hardenberg etwas gutmüthiger erwidert wurde. Weniger gründlich,
aber vielseitiger gebildet als der Reichsritter hatte Hardenberg schon in
seinen lockeren Studenten= und Reisejahren die Welt von allen Seiten
her kennen gelernt, mit Menschen jeden Schlages, auch mit dem jungen
Goethe, munter und geistreich verkehrt. Die Aufklärungsphilosophie des
alten Jahrhunderts ergriff ihn weit stärker als jenen gläubigen Urgermanen;
sein religiöses Gefühl blieb immer schwach, seine Duldsamkeit ehrlich und
ohne Grenzen. Er sah das Leben an wie ein lustiger, feingebildeter Marquis