Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Brandenburg das Land der Parität. 29 
Wollens. Seitdem blieb die Kraft des zweckbewußten königlichen Willens 
der werdenden deutschen Großmacht unverloren. Man kann sich die 
englische Geschichte vorstellen ohne Wilhelm III., die Geschichte Frankreichs 
ohne Richelieu; der preußische Staat ist das Werk seiner Fürsten. In 
wenigen andern Ländern bewährte das Königthum so stetig jene beiden 
Tugenden, die seine Größe bilden: den kühnen, weit vorausschauenden 
Idealismus, der das bequeme Heute dem größeren Morgen opfert, und 
die strenge Gerechtigkeit, die jede Selbstsucht in den Dienst des Ganzen 
zwingt. Nur der Weitblick der Monarchie vermochte in diesen armseligen 
Gebietstrümmern die Grundsteine einer neuen Großmacht zu erkennen. 
Nur in dem Pflichtgefühle der Krone, in dem monarchischen Staatsge- 
danken fanden die verfeindeten Stämme und Stände, Parteien und Kirchen, 
welche dieser Mikrokosmos des deutschen Lebens umfaßte, ihren Schutz 
und ihren Frieden. 
Schon in den ersten Jahren des großen Kurfürsten tritt die Eigen- 
art der neuen deutschen Macht scharf und klar heraus. Der Neffe 
Gustav Adolf's, der sein junges Heer unter dem alten Protestantenrufe 
„Mit Gott"“ in die Schlachten führt, nimmt die Kirchenpolitik seines Oheims 
wieder auf. Er zuerst ruft in den Hader der Kirchen das erlösende Wort 
hinein, fordert die allgemeine unbedingte Amnestie für alle drei Bekenntnisse. 
Es war das Programm des Westphälischen Friedens. Und weit über die 
Vorschriften dieses Friedensschlusses hinaus ging die Duldung, welche die 
Hohenzollern im Innern ihres Landes walten ließen. Brandenburg 
galt vor dem Reichsrechte als ein evangelischer Stand und wurde doch 
der erste Staat Europas, der die volle Glaubensfreiheit gewährte. Das 
bunte Sectenwesen in den Niederlanden verdankte seine ungebundene Be- 
wegung nur der Anarchie, der Schwäche des Staates; hier aber ruhte 
die Gewissensfreiheit auf den Gesetzen einer kraftvollen Staatsgewalt, 
die sich das Recht der Oberaufsicht über die Kirchen nicht rauben ließ. 
In den anderen deutschen Territorien bestand überall noch eine herrschende 
Kirche, die den beiden anderen Confessionen nur den Gottesdienst nicht 
gänzlich untersagen durfte; in Brandenburg stand die Krone frei über 
allen Kirchen und schützte die Parität. Derweil Oesterreich seine besten 
Deutschen gewaltsam austreibt, öffnet eine Gastfreundschaft ohne Gleichen 
die Grenzen Brandenburgs den Duldern jeglichen Glaubens. Wie viel 
tausendmal ist in den Marken das Danklied der böhmischen Exulanten 
erklungen: „Dein Volk, das sonst im Finstern saß, von Irrthum ganz 
umgeben, das findet hier nun sein Gelaß und darf in Freiheit leben!“ 
Als Ludwig XIV. das Edict von Nantes aufhebt, da tritt ihm der kleine 
brandenburgische Herr als Wortführer der protestantischen Welt kühn 
entgegen und bietet durch sein Potsdamer Edict den Söhnen der Mär- 
tyrerkirche Schirm und Obdach. Ueberall, wo noch die Flammen des alten 
Glaubenshasses aus dem deutschen Boden emporschlagen, schreiten die
	        
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