Brandenburg das Land der Parität. 29
Wollens. Seitdem blieb die Kraft des zweckbewußten königlichen Willens
der werdenden deutschen Großmacht unverloren. Man kann sich die
englische Geschichte vorstellen ohne Wilhelm III., die Geschichte Frankreichs
ohne Richelieu; der preußische Staat ist das Werk seiner Fürsten. In
wenigen andern Ländern bewährte das Königthum so stetig jene beiden
Tugenden, die seine Größe bilden: den kühnen, weit vorausschauenden
Idealismus, der das bequeme Heute dem größeren Morgen opfert, und
die strenge Gerechtigkeit, die jede Selbstsucht in den Dienst des Ganzen
zwingt. Nur der Weitblick der Monarchie vermochte in diesen armseligen
Gebietstrümmern die Grundsteine einer neuen Großmacht zu erkennen.
Nur in dem Pflichtgefühle der Krone, in dem monarchischen Staatsge-
danken fanden die verfeindeten Stämme und Stände, Parteien und Kirchen,
welche dieser Mikrokosmos des deutschen Lebens umfaßte, ihren Schutz
und ihren Frieden.
Schon in den ersten Jahren des großen Kurfürsten tritt die Eigen-
art der neuen deutschen Macht scharf und klar heraus. Der Neffe
Gustav Adolf's, der sein junges Heer unter dem alten Protestantenrufe
„Mit Gott"“ in die Schlachten führt, nimmt die Kirchenpolitik seines Oheims
wieder auf. Er zuerst ruft in den Hader der Kirchen das erlösende Wort
hinein, fordert die allgemeine unbedingte Amnestie für alle drei Bekenntnisse.
Es war das Programm des Westphälischen Friedens. Und weit über die
Vorschriften dieses Friedensschlusses hinaus ging die Duldung, welche die
Hohenzollern im Innern ihres Landes walten ließen. Brandenburg
galt vor dem Reichsrechte als ein evangelischer Stand und wurde doch
der erste Staat Europas, der die volle Glaubensfreiheit gewährte. Das
bunte Sectenwesen in den Niederlanden verdankte seine ungebundene Be-
wegung nur der Anarchie, der Schwäche des Staates; hier aber ruhte
die Gewissensfreiheit auf den Gesetzen einer kraftvollen Staatsgewalt,
die sich das Recht der Oberaufsicht über die Kirchen nicht rauben ließ.
In den anderen deutschen Territorien bestand überall noch eine herrschende
Kirche, die den beiden anderen Confessionen nur den Gottesdienst nicht
gänzlich untersagen durfte; in Brandenburg stand die Krone frei über
allen Kirchen und schützte die Parität. Derweil Oesterreich seine besten
Deutschen gewaltsam austreibt, öffnet eine Gastfreundschaft ohne Gleichen
die Grenzen Brandenburgs den Duldern jeglichen Glaubens. Wie viel
tausendmal ist in den Marken das Danklied der böhmischen Exulanten
erklungen: „Dein Volk, das sonst im Finstern saß, von Irrthum ganz
umgeben, das findet hier nun sein Gelaß und darf in Freiheit leben!“
Als Ludwig XIV. das Edict von Nantes aufhebt, da tritt ihm der kleine
brandenburgische Herr als Wortführer der protestantischen Welt kühn
entgegen und bietet durch sein Potsdamer Edict den Söhnen der Mär-
tyrerkirche Schirm und Obdach. Ueberall, wo noch die Flammen des alten
Glaubenshasses aus dem deutschen Boden emporschlagen, schreiten die