Die Krisis von 1811. 387
nung. Der kluge Talleyrand, der noch zuweilen zur Mäßigung gerathen,
war längst aus dem auswärtigen Amte zurückgetreten; seine Nachfolger,
Champagny und nachher Maret, folgten knechtisch jeder Laune des Herr—
schers. Im December 1810 wurde dem preußischen Gesandten in Paris
eine gefälschte Denkschrift Champagny's verkauft, welche ausführlich den
Plan der Vernichtung Preußens entwickelte. Ob Hardenberg den Betrug
durchschaute, ist zweifelhaft; er ward aber um so besorgter, je hartnäckiger
die napoleonischen Diplomaten jede Kriegsgefahr in Abrede stellten; noch
im April 1811 versicherte ihm Lauriston, der russisch-französische Streit
sei nur ein harmloser Zwist zwischen Mann und Frau.“) Es war klar,
man wollte Preußens Wachsamkeit einschläfern; der Imperator schwankte
nur noch, ob er den Hohenzollern vor oder nach dem russischen Kriege
den Gnadenstoß geben solle. Aber eine Schilderhebung in so entsetzlicher
Lage war ein Selbstmord, wenn der Czar sich nicht entschloß den Krieg
auf preußischem Boden zu eröffnen.
In diesem Sinne schrieb Friedrich Wilhelm seinem Freunde, wieder-
holt, nachdrücklich, in tiefster Erregung. Alexander schwieg lange. Gegen
Ende Mai antwortete er schließlich: er habe kein Mittel die Ueberfluthung
Preußens durch eine große Armee zu hindern und werde den Krieg nicht
anders als im Innern seines Landes beginnen. Zum vierten male
überließ er seinen Freund einem unheimlichen Schicksale. Unterdessen
hatte Hardenberg versucht, ob in Paris ein Bündniß unter ehrenvollen
Bedingungen zu erlangen sei; er bot ein Hilfscorps, gegen die Rückgabe
von Glogau, gegen den Erlaß der Contribution und die Erlaubniß zur
Vermehrung des Heeres. Napoleon verwarf den Antrag; nicht als ein
gleichberechtigter Bundesgenosse, sondern gebunden und gezwungen sollte
ihm Preußen Heeresfolge leisten. Unheil also und Verderben wohin man
sich auch wenden mochtel
Da, im Augenblicke der höchsten Noth, brach die heiße Leidenschaft
der Kriegspartei in hellen Flammen aus. Hardenberg selbst trat auf die
Seite Scharnhorst's, Gneisenau wurde in den Staatsrath berufen zur
Leitung der Rüstungen, und so entstanden im Sommer 1811 jene gran-
diosen Pläne für eine Massenerhebung des preußischen Volkes — das
Tollkühnste vielleicht, was moderne Staatsmänner je erdacht haben, ein
unvergängliches Denkmal für die Seelengröße Scharnhorst's und seiner
Freunde. Wie man so dalag, dicht unter den Feuerschlünden der großen
Armee, die mit jedem Tage anwuchs, traute man sich noch die Kraft zu,
durch einen plötzlichen Aufstand dem übermächtigen Feinde zuvorzukommen;
in jedem Dorfe sollte der Pfarrer den Landsturm aufbieten, wer nur
irgend die Waffen schwingen konnte mußte mit heran. Bereits waren
in aller Stille die Krümper einberufen, so viele man nur heranziehen
konnte ohne den Argwohn der Franzosen zu wecken; gegen Ende August
*) Hardenberg's Journal 20. April 1811.
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