Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

34 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
clevischen Erbfolgestreite, überall trat Oesterreich dem gefährlichen Neben- 
buhler mißtrauisch entgegen. Gleich dem Wiener Hofe beargwöhnten alle 
Reichsfürsten den unruhigen Staat, der den gesammten deutschen Norden 
zu umklammern drohte; so oft er mit einiger Kühnheit sich hervorwagte, 
erklang durch's deutsche Land der Jammerruf über „den immer tiefer 
in's Reich dringenden brandenburgischen Dominat“. Als der große Kur- 
fürst die Schweden aus Düppel und Alsen verjagte, schlossen die Fürsten 
des Westens mit der Krone Frankreich jenen ersten Rheinbund zum Schutze 
des Reichsstandes Schweden. Da das Kaiserhaus noch durch den Breis- 
gau und die oberschwäbischen Lande ganz Süddeutschland militärisch be- 
herrschte, so war an den oberländischen Höfen die Furcht vor Oesterreichs 
Ländergier zuweilen stärker als die Angst vor dem entlegenen Branden- 
burg; zuletzt überwog doch bei allen Kleinfürsten die Erkenntniß, daß der 
kaiserliche Hof eine Macht des Beharrens, jener nordische Emporkömmling 
aber durch einen tiefen, unversöhnlichen Gegensatz von der alten Ordnung 
der deutschen Dinge getrennt sei. 
Auch die Nation sah mit Abscheu und Besorgniß auf den Staat 
der Hohenzollern, wie einst die italischen Stämme auf das emporsteigende 
Rom. Die freien Köpfe der Zeit begannen bereits sich den Idcen des 
modernen Absolutismus zuzuwenden; die Masse des Volks hing noch an 
den althergebrachten ständischen Formen, die in dem Hause Brandenburg 
ihren Bändiger fanden. Einzelne Kriegsthaten Friedrich Wilhelm's er- 
weckten wohl die Bewunderung der Zeitgenossen; nach seinem kühnen 
Zuge vom Rhein zum Rhyn begrüßte ihn das Elsasser Volkslied zuerst 
mit dem Namen des Großen. Doch solche Stimmungen erregter Augen- 
blicke hielten nicht vor. Zorn und Neid trafen das trotzige Glied, das 
sich neben das Reich stellte und noch nicht vermochte der Nation einen 
Ersatz zu bieten für die zerstörte alte Ordnung; Leibniz, der begeisterte 
Reichspatriot, erwies in beredter Denkschrift, wie der Brandenburger 
von seinen Mitständen gezüchtigt werden müsse, weil er eigenmächtig sein 
Heer zur Rettung Hollands gegen die Franzosen geführt habe. Noch 
ahnte Niemand in diesem staatlosen Geschlechte, daß die Führung zer- 
splitterter Völker nothwendig dem Theile zufällt, welcher die Pflichten 
des Ganzen auf sich nimmt. Um so lebhafter regte sich die dunkle 
Sorge, diese thatenlustige Macht müsse wachsen oder untergehen; und 
wie schon im Mittelalter der Volkswitz immer den deutschen Stamm 
heimsuchte, welcher den Gedanken der nationalen Einheit trug, so er- 
gossen jetzt die particularistische Seelenangst und Selbstgefälligkeit ihren 
Hohn auf die Marken. 
Das Volk spottete über die Armuth der Streusandbüchse des heiligen 
Reichs, über die brandenburgische Knechtschaft; wie Verzweifelte fochten 
die Bürger Stettins auf ihren Wällen, um ihre gute Stadt bei der 
schwedischen Freiheit zu erhalten und vor dem Joche des märkischen Blut-
	        
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