Norddeutscher Charakter der Bewegung. 437
Vollends das Heer verwuchs zu einer großen Gemeinde, und nach
dem Frieden lebte die alte treue Waffenbrüderschaft in den Vereinen und
Festen der Kameraden fort. Das eigenthümliche scharfe und schneidige
Wesen der fridericianischen Armee blieb erhalten, desgleichen das stolze
Gefühl aristokratischer Standesehre unter den Offizieren. Aber die alten
Berufssoldaten mußten sich gewöhnen mit den gebildeten jungen Mann-
schaften ruhig und freundlich umzugehen. Gerade die besten unter ihnen
erkannten willig an, wie viel gesunde Kraft dem Offizierscorps aus den
Reihen der freiwilligen Jäger zuströmte; mit herzlicher Freude lobte Gnei-
senau die jungen Freiwilligen: „es wird mir schwer mich der Thränen
zu enthalten, wenn ich diesen Edelmuth, diesen hohen deutschen Sinn ge-
wahr werde.“ Da die Hauptmasse der Freiwilligen aus Studenten und
studirten Leuten bestand, so behauptete der jugendliche Ton akademischer
Fröhlichkeit auch im Feldlager sein Recht, nur daß er sich der strengen
Mannszucht fügen mußte. Wie oft haben die Lützower Jäger den Landes-
vater gesungen; das alte Lied war ihnen jetzt doppelt theuer, da sie in
vollem, heiligem Ernst ihr gutes Schwert zum Hüter weihten für das
Vaterland, das Land des Ruhmes. Die jungen Freiwilligen wurden
wirklich, wie Scharnhorst vorausgesagt, die besten Soldaten; die Haltung
der gesammten Mannschaft ward freier und gesitteter durch den Verkehr
mit den gebildeten jungen Männern. Auch der rohe Bauerbursch lernte
einige von den schwungvollen Liedern der Freiwilligen. Als dann die Zeit
der Siege kam und die Preußen immer wieder in befreite deutsche Städte
ihren jubelnden Einzug hielten, als endlich der deutsche Rhein zu den
Füßen der Sieger lag, da ahnte selbst der geringe Mann, daß er nicht bloß
für seine heimathliche Hofstatt focht. Der Gedanke des Vaterlandes ward
lebendig in den tapferen Herzen, die Preußen fühlten sich stolz als die Vor-
kämpfer Deutschlands. Seit Cromwell's eisernen Dragonern hatte die Welt
nicht mehr ein Heer gesehen, das so durchdrungen war von heiligem sitt-
lichem Ernst, und es war nicht wie jene eine fanatische Partei, sondern ein
ganzes Volk. Alle die alten trennenden Gegenstände des politischen Lebens
verschwanden in dem Einmuth dieses Kampfes: Marwitz, der abgesagte
Gegner der Volksheere, übernahm willig den Befehl über eine Land-
wehrbrigade, hatte seine Lust an dem festen Muthe seiner märkischen
Bauern.
Alle die heißen Leidenschaften, die nur ein mannhaftes Volk zum
höchsten Wagen entflammen können, waren erwacht, und doch blieb die
ungeheuere Bewegung in den Schranken der Gesittung. Nichts von jenem
finsteren kirchlich-nationalen Fanatismus, der die Erhebung der Russen
und der Spanier so unheimlich erscheinen ließ. Dies junge Deutschland,
das jetzt mit flammenden Augen seine Speere schütterte, trug die Kränze
der Kunst und Wissenschaft auf seinem Scheitel, und mit gerechtem Stolze
durfte Boeckh am Ausgang dieses schlachtenreichen Sommers rufen: „siehe