Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Norddeutscher Charakter der Bewegung. 437 
Vollends das Heer verwuchs zu einer großen Gemeinde, und nach 
dem Frieden lebte die alte treue Waffenbrüderschaft in den Vereinen und 
Festen der Kameraden fort. Das eigenthümliche scharfe und schneidige 
Wesen der fridericianischen Armee blieb erhalten, desgleichen das stolze 
Gefühl aristokratischer Standesehre unter den Offizieren. Aber die alten 
Berufssoldaten mußten sich gewöhnen mit den gebildeten jungen Mann- 
schaften ruhig und freundlich umzugehen. Gerade die besten unter ihnen 
erkannten willig an, wie viel gesunde Kraft dem Offizierscorps aus den 
Reihen der freiwilligen Jäger zuströmte; mit herzlicher Freude lobte Gnei- 
senau die jungen Freiwilligen: „es wird mir schwer mich der Thränen 
zu enthalten, wenn ich diesen Edelmuth, diesen hohen deutschen Sinn ge- 
wahr werde.“ Da die Hauptmasse der Freiwilligen aus Studenten und 
studirten Leuten bestand, so behauptete der jugendliche Ton akademischer 
Fröhlichkeit auch im Feldlager sein Recht, nur daß er sich der strengen 
Mannszucht fügen mußte. Wie oft haben die Lützower Jäger den Landes- 
vater gesungen; das alte Lied war ihnen jetzt doppelt theuer, da sie in 
vollem, heiligem Ernst ihr gutes Schwert zum Hüter weihten für das 
Vaterland, das Land des Ruhmes. Die jungen Freiwilligen wurden 
wirklich, wie Scharnhorst vorausgesagt, die besten Soldaten; die Haltung 
der gesammten Mannschaft ward freier und gesitteter durch den Verkehr 
mit den gebildeten jungen Männern. Auch der rohe Bauerbursch lernte 
einige von den schwungvollen Liedern der Freiwilligen. Als dann die Zeit 
der Siege kam und die Preußen immer wieder in befreite deutsche Städte 
ihren jubelnden Einzug hielten, als endlich der deutsche Rhein zu den 
Füßen der Sieger lag, da ahnte selbst der geringe Mann, daß er nicht bloß 
für seine heimathliche Hofstatt focht. Der Gedanke des Vaterlandes ward 
lebendig in den tapferen Herzen, die Preußen fühlten sich stolz als die Vor- 
kämpfer Deutschlands. Seit Cromwell's eisernen Dragonern hatte die Welt 
nicht mehr ein Heer gesehen, das so durchdrungen war von heiligem sitt- 
lichem Ernst, und es war nicht wie jene eine fanatische Partei, sondern ein 
ganzes Volk. Alle die alten trennenden Gegenstände des politischen Lebens 
verschwanden in dem Einmuth dieses Kampfes: Marwitz, der abgesagte 
Gegner der Volksheere, übernahm willig den Befehl über eine Land- 
wehrbrigade, hatte seine Lust an dem festen Muthe seiner märkischen 
Bauern. 
Alle die heißen Leidenschaften, die nur ein mannhaftes Volk zum 
höchsten Wagen entflammen können, waren erwacht, und doch blieb die 
ungeheuere Bewegung in den Schranken der Gesittung. Nichts von jenem 
finsteren kirchlich-nationalen Fanatismus, der die Erhebung der Russen 
und der Spanier so unheimlich erscheinen ließ. Dies junge Deutschland, 
das jetzt mit flammenden Augen seine Speere schütterte, trug die Kränze 
der Kunst und Wissenschaft auf seinem Scheitel, und mit gerechtem Stolze 
durfte Boeckh am Ausgang dieses schlachtenreichen Sommers rufen: „siehe
	        
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