Die Kalischer Proclamation. Sachsen. 449
empfänglich waren. Aber sollten die starken Worte wirken, so mußte die
That der Drohung auf dem Fuße folgen. Und sie folgte nicht. Seine
natürliche Gutmüthigkeit und die stille Rücksicht auf Oesterreich verhin—
derten den König, durch die Entthronung seines sächsischen Nachbars recht—
zeitig den deutschen Fürsten ein warnendes Beispiel zu geben. Als die
Aufforderung an Friedrich August von Sachsen herantrat, daß er um
Deutschlands willen den Treubruch wiederholen sollte, den er im Herbst
1806 um seines Hauses willen begangen hatte, da war die Lage des
schwachen Fürsten allerdings schwierig; er mußte früher als die anderen
Rheinbundskönige einen Entschluß fassen, in einem Augenblicke, da der
Ausgang des Krieges noch unsicher war, und er konnte nicht hoffen, das
durch die Russen eroberte Warschau wiederzugewinnen. Es lag jedoch
in seiner Hand, durch rechtzeitigen Anschluß sich einen Ersatz für seinen
polnischen Besitz zu sichern; der Czar hatte sich dazu längst bereit erklärt.
Die Entschädigung für eine so unsichere Krone konnte freilich nicht be—
deutend sein; Warschau war, wie Jedermann wußte, nur vorläufig in
Friedrich August's Hände gegeben bis auf weitere Verfügung des Impe—
rators; niemals hatte der wettinische Herzog sich unterstanden, den vor—
nehmen polnischen Königswählern und ihrem wilden Deutschenhasse ent—
gegenzutreten, niemals gewagt, seinen polnischen Truppen irgend einen
Befehl zu geben. Friedrich August wollte trotzdem von dieser polnischen
Krone, die schon soviel Unheil über Sachsen gebracht, nicht lassen und
hielt zudem die Niederlage seines „Großen Alliirten“ für undenkbar. Er
that beim Heranrücken der Verbündeten, was er schon in der Kriegsgefahr
des Jahres 1809 gethan: er floh mit seinem Grünen Gewölbe aus dem
Lande. Auf die dringende Frage des Königs von Preußen, ob er „ein
Widersacher der edelsten Sache“ bleiben wolle, gab er eine nichtssagende
Antwort und verwies auf seine bestehenden Verbindlichkeiten.
Sein Minister Graf Senfft — eine jener aufgeblasenen Mittel—
mäßigkeiten, woran die diplomatische Geschichte der Mittelstaaten so reich
ist — entwarf den kindischen Plan einer mitteleuropäischen Allianz, welche
Frankreich und Rußland zugleich demüthigen und Preußen auf der Stufe
einer Macht dritten Ranges darniederhalten sollte; er fühlte jedoch, daß
man des Schutzes bedurfte und versuchte daher sich an die zuwartende
Neutralitätspolitik Oesterreichs anzuschließen. Dies Beginnen war nicht
nur unausführbar, da Sachsen unvermeidlich den Kriegsschauplatz bilden
mußte, sondern auch eine Verletzung des Völkerrechts. Sachsen befand
sich noch im Zustande des Krieges gegen Rußland, also auch gegen Preu—
ßen; soeben noch kämpften sächsische Truppen in den Gassen von Lüne—
burg mit Dörnberg's tapferen Schaaren. Nach einer selbstverständlichen
Regel des Völkerrechts darf aber eine kriegführende Macht nicht ohne die
Genehmigung des Feindes sich für neutral erklären, weil sonst jeder Be—
siegte sich den Folgen seiner Niederlage entziehen könnte. Dem österrei—
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 29