Blücher. 453
weckte. Stein's Reformen und namentlich die Städteordnung fanden an
ihm einen beredten Vertheidiger. So wurzelte auch sein grimmiger Haß
gegen die Fremdherrschaft in dem starken Selbstgefühle einer freien Seele:
er empfand es wie eine persönliche Entwürdigung, daß er auf deutschem
Boden sich nach dem Belieben französischer Gewalthaber richten sollte,
und wetterte: „ich bin frei geboren und muß auch so sterben.“
Der alte Kriegsmann zählt zu jenen echten historischen Größen, die
bei jeder näheren Kenntniß gewinnen. Welche Schärfe des politischen
Blicks in dem barbarischen Deutsch seiner vertrauten Briefe! In jeder
politischen Lage findet er sich rasch zurecht, erkennt sofort den springenden
Punkt im Gewirr der Ereignisse, weissagt mit prophetischer Sicherheit
den letzten Ausgang. Niemals läßt er sich täuschen durch die Ueberklug—
heit der Haugwitz'schen Politik, niemals glaubt er an die Möglichkeit einer
ehrlichen Verständigung zwischen Preußen und Napoleon. Im Frühjahr
1807, nach einem einzigen Gespräch mit Bennigsen, weiß er augenblicklich,
was sein Staat von den Russen zu erwarten hat, und ruft ingrimmig:
„wir sind verrathen und verkoft!“ Und dann die langen Jahre der Knecht-
schaft: oft genug ist er der Verzweiflung nahe, doch immer wieder er-
mannt er sich zu dem frohen Glauben: er werde sein Preußen wieder im
alten Glanze sehen, dieser Napoleon müsse herunter und ihm selber sei
bestimmt dazu mitzuhelfen: „der deutsche Muth schläft nur, sein Erwachen
wird fürchterlich sein!“ Wohl hat auch Blücher in dieser Zeit des Harrens
manche der holden Täuschungen getheilt, welche die tapferen Herzen der
Kriegspartei in die Irre führten; er setzte gern bei allen Deutschen den
Heldensinn, der ihn selber beseelte, voraus und traute sich's zu mit 16,000
Mann die westlichen Provinzen wieder zu erobern. Doch wie übereilt
auch manche der Erhebungspläne waren, die er damals mit seinem Lieb-
lingssohne Franz unermüdlich entwarf: das Wesentliche, die innere
Schwäche des napoleonischen Weltreichs erkannte er richtig. Die Klein-
meister entsetzten sich über den Jüngling im Greisenhaar, der noch zu-
weilen auf den Hofbällen mit den eleganten jungen Gardeoffizieren eine
Quadrille tanzte; tiefere Naturen fühlten bald, daß dies ausgelassene
Treiben nur der natürliche Ausdruck einer unbändigen überschäumenden
Lebenskraft war. Die Patriotenpartei verließ sich auf ihn als auf ihre
treueste Stütze. Stein hatte sich ihm schon vor Jahren in herzlicher Freund-
schaft angeschlossen; er schätzte das treffende, immer aus der Fülle leben-
diger Erfahrung geschöpfte Urtheil des Generals und ahnte in ihm den-
selben kühnen Schwung der Seele, denselben Muth der Wahrheit, der
in seiner eigenen Brust lebte.
Ganz frei von Menschenfurcht, mit unumwundenem Freimuth sagte
Blücher Jedem seine Meinung in's Gesicht; und doch lag selbst in seinen
gröbsten Worten nichts von Stein's verletzender Schärfe. Seine Zornreden
kamen so gutlaunig und treuherzig heraus, daß sich selten Jemand gekränkt