Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

454 I. 4. Der Befreiungskrieg. 
fühlte und selbst der König sich von ihm Alles bieten ließ. Denn bei 
allem Ungestüm war er von Grund aus klug, nicht bloß im Kriege so 
verschlagen und aller Listen kundig, daß ihn Napoleon ärgerlich le vieux 
renard nannte, sondern auch ein gewiegter Menschenkenner, der Jeden 
an der rechten Stelle zu packen wußte. Die Kunst des Befehlens ver- 
stand er aus dem Grunde; von der Mannschaft durfte er das Unmög- 
liche verlangen, wenn sein Vorwärts aus seinen Augen blitzte, und auch 
von dem trotzigen Selbstgefühle seiner Generale erzwang er sich Gehor- 
sam, da er stets nur an die Sache dachte, nach jedem Mißerfolge Alles 
hochherzig auf seine Kappe nahm und bei Streitigkeiten der Untergebenen 
immer gutmüthig vermittelte. Die unverwüstliche Kraft des Hoffens und 
Vertrauens wurzelte bei ihm wie bei Stein in einer schlichten Frömmig- 
keit. Obgleich er nach Husarenart den Herrgott zuweilen einen guten 
Mann sein ließ und alles scheinheilige Wesen verabscheute, so blieb er doch 
in tiefster Seele seines einfältigen Glaubens froh; in schweren Stunden 
tröstete sich der Bibelfeste gern an einem tapferen Worte der Apostel. 
Und wie weitab lag doch die Schlaglust dieses gütigen, menschenfreund- 
lichen Mannes von der herzlosen Roheit des Landknechtes! Für die 
Kranken und Verwundeten zu sorgen war ihm heilige Christenpflicht. Der 
junge Kronprinz vergaß es nie, wie ihn der alte Held einmal auf einem 
Schlachtfelde tief ergriffen bei der Hand genommen und ihm all den 
fürchterlichen Jammer ringsum gezeigt hatte: das sei der Fluch des Krieges, 
und wehe dem Fürsten, der aus Eitelkeit und Uebermuth solches Elend 
über seine Brüder bringel 
Blücher wußte längst, „daß er das Zutrauen der Nation und die 
Liebe des Heeres für sich hatte,“ daß ihm die Führung der Armee ge- 
bührte. Als nun die heiß ersehnte Stunde schlug und das Reich der 
tausendmal verfluchten „Sicherheitscommissare und Faulthiere“ zu Ende 
ging, da fühlte er sich verjüngt trotz seiner siebzig Jahre und dachte froh 
an die langlebige Heldenkraft des Derfflingers und des Dessauers und 
die vielen anderen glorreichen Grauköpfe der preußischen Kriegsgeschichte. 
Glückselig wiegte er sich auf den hohen Wogen dieser brausenden Volksbe- 
wegung; wie that es ihm wohl, daß der frische Luftzug der Wahrhaftig- 
keit wieder durch das deutsche Leben ging und Jeder tapfer von der Leber 
weg sprach. „Dichten Sie man druf“, sagte er seelenvergnügt zu einem 
patriotischen Poeten; „in solchen Zeiten muß Jeder singen wie es ihm 
um's Herz ist, der Eine mit dem Schnabel, der Andere mit dem Sabell“ 
So war der Held, den die Stimme der Nation zum Führer wählte 
— ein rechter Germane, nur germanischen Menschen ganz verständlich in 
der rauhen Größe, der formlosen Ursprünglichkeit seines Wesens. Die 
Franzosen haben ihm niemals auch nur jene bedingte Anerkennung ge- 
schenkt, welche der anhaltende Erfolg selbst dem Besiegten abzuzwingen 
pflegt. Er selber konnte in die feine romanische Art sich nicht finden und
	        
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