456 J. 4. Der Befreiungskrieg.
und Spandau den Franzosen entrissen. Eine kühne Kriegführung, wie
sie Scharnhorst verlangte, konnte gleichwohl die Armee des Vicekönigs im
Magdeburger Lande vernichten bevor Napoleon's Hauptheer herankam.
Aber das russische Hauptquartier blieb wochenlang unbeweglich in Polen.
Der Czar bedurfte längere Zeit um seine Armee, deren Schwäche mit
seinen eigenen prahlerischen Angaben in lächerlichem Widerspruche stand,
zu verstärken; auch wollte er Polen nicht verlassen bevor die Ruhe in dem
aufgeregten Lande durch eine genügende Truppenmacht gesichert war.
Dazu die Unlust seiner Generale und die peinlichen Zweifel über die Ab-
sichten Oesterreichs, das aus seiner starken Flankenstellung heraus den
Verbündeten hochgefährlich werden konnte. Erst am 24. April zog das
russische Hauptheer in Dresden ein um sich dann nach langsamen Mär-
schen südlich von Leipzig mit Blücher zu vereinigen.
Mittlerweile hatte Napoleon seine Rüstungen mächtig gefördert. Wohl
lagen tausende der erprobten Veteranen im russischen Schnee begraben.
Die jungen Conseribirten standen den alten Kameraden weit nach, viele
hatte man in Ketten zu den Regimentern schleppen müssen; auch die Mar-
schälle begannen der unendlichen Kriegsarbeit satt zu werden und sehnten
sich nach friedlichem Genusse der erbeuteten Schätze. Die Ueberlegenheit
der sittlichen Spannkraft und des kriegerischen Feuers, die vordem den
napoleonischen Heeren eigen gewesen, war jetzt ganz und gar auf die Preu-
ßhen übergegangen. Immerhin blieb das Weltreich, das seit Jahren von
keinem Feinde betreten worden, durch seine unermeßlichen Hilfsquellen den
Verbündeten weitaus überlegen. Während Bertrand aus Italien durch
Baiern heranzog, versammelten sich die übrigen Corps der Franzosen und
Rheinbündner am Niederrhein, bei Frankfurt und im Würzburgischen.
In den letzten Tagen des April rückte Napoleon selbst mit dem Haupt-
heere auf der Frankfurt-Leipziger Straße durch Thüringen ostwärts und
vereinigte sich am 29. bei Naumburg mit der Armee des Vicekönigs. Er
gebot über eine Feldarmee von mindestens 180,000 Mann, ungerechnet
die Garnisonen der deutschen Festungen, und die Verbündeten konnten ihm
zunächst nur etwa 98,000 Mann entgegenstellen.) Scharnhorst wünschte
anfangs die Schlacht in der freien Ebene von Leipzig, wo die überlegene
Reiterei der Verbündeten zur vollen Wirksamkeit gelangen konnte. Das
russische Hauptquartier dagegen beschloß, südlich von dem alten Lützener
Schlachtfelde, in dem sumpfigen, von Gräben, Hecken und Hohlwegen durch-
schnittenen Wiesenlande bei Großgörschen, das zur Entfaltung großer
Reitermassen wenig Raum bot, einen Vorstoß gegen die rechte Flanke des
nach Leipzig vorrückenden Feindes zu wagen. Scharnhorst gab zuerst den
*) Selbst C. Rousset, der überall gewissenhaft die niedrigsten Zahlen ansetzt, be-
rechnet die Stärke der vereinigten Heere Napoleon's und Eugen's auf 170,000 Mann
(La grande armée de 1813 S. 113); und davon nahmen drei Viertel (sechs von acht
Armeecorps) an der Großgörschener Schlacht Theil.