484 I. 4. Der Befreiungskrieg.
als das dumpfe Krachen der Gewehrkolben endlich verstummte, da lag
ein scheußlicher Leichenhaufen hoch aufgeschichtet bis zum Rand der Mauer,
das Hirn quoll den Todten aus den zerschmetterten Schädeln. Von seinen
9000 Mann rettete Girard nur 1700 aus dem Entsetzen dieser Landwehr-
schlacht. Um solchen Preis ward die Befreiung der Mark erkauft. Auch
mancher ältere Berliner Bürger hatte mitgeholfen, so der Buchhändler
G. A. Reimer, der Freund Niebuhr's und Schleiermacher's der uner-
müdliche Patriot; der stand als Hauptmann bei der kurmärkischen Landwehr,
eilte nach dem Hagelberger Treffen auf Urlaub heim sein jüngstes Töchter-
lein über die Taufe zu halten, dann wieder hinaus zu seinem Bataillon.
Minder glücklich verlief der Zug der böhmischen Armee nach Dresden.
Ihre unbehilflichen Massen überschritten langsam den Kamm des Erzge-
birges, zogen anfangs nordwestwärts in der Richtung nach Leipzig um dann
erst nach Osten gegen Dresden abzubiegen. Ermüdet von den schwierigen
Märschen im Gebirge langte etwa ein Drittel des Heeres, gegen 60,000
Mann, am Nachmittage des 25. August auf den Höhen an, welche die
Stadt auf dem linken Elbufer umschließen. Faßte man sich das Herz,
das ungleich schwächere Corps von St. Cyr, das zur Vertheidigung des
Platzes zurückgeblieben, sofort anzugreifen, so wurde der wichtige Stütz-
punkt des napoleonischen Heeres durch einen Handstreich genommen. Die
Bevölkerung, die nach dem großen Sinne dieses Krieges wenig fragte, gab
bereits Alles verloren, der geängstete König flüchtete in die Neustadt, auf
das sichere rechte Ufer. Aber in dem vielköpfigen Kriegsrathe der drei
Monarchen regierte die bedachtsame Vorsicht: man beschloß den Angriff
zu verschieben bis die gesammte Armee versammelt war. Unselige Zöge-
rung. Denn unterdessen kam Napoleon's Heer aus Schlesien in Eil-
märschen auf der Bautzener Straße heran. An dem grauen, trüben
Morgen des 26. erreichte der Imperator die Höhe am Mordgrunde dicht
über dem Strome, wo sich der Ausblick öffnet auf den lieblichen Kessel
des Elbthals, und betrachtete lange das majestätische Schauspiel, wie jen-
seits auf dem linken Ufer die dunklen Massen des Heeres der Verbün-
deten, in weitem Halbkreise die Stadt umklammernd, mit beiden Flügeln
an den Fluß gelehnt, sich langsam von den Hügeln niedersenkten.
Noch einmal, zum letzten male auf deutschem Boden, umstrahlte ihn
die Herrlichkeit des Sieges. Wohl war sein Heer augenblicklich noch um die
Hälfte schwächer als die Verbündeten, aber mit jeder Stunde kamen neue
Zuzüge und bis sie alle eintrafen mußte die nothdürftig befestigte Stadt sich
halten. Er war des Erfolges gewiß, sprengte mit verhängten Zügeln in
die Stadt, hielt dann stundenlang auf dem Schloßplatze jenseits der Brücke,
mit kalter Ruhe seine Befehle ertheilend, während die Regimenter der
Garde im Lausfschritt an ihm vorüber nach den westlichen Thoren zogen.
Mit donnerndem Hochruf begrüßten die tapferen Bärenmützen ihren kleinen
Corporal, wo sein Auge wachte da winkten Sieg und Beute. Ein sächsischer