40 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
drangen. Auch die Gerichte lebten noch in dem Gedankenkreise des alt-
ständischen Staates und nahmen, gleich den französischen Parlamenten,
fast immer Partei für das verfallene Recht der Theile gegen das leben-
dige Recht des Ganzen. Also, im siegreichen Kampfe für Staatseinheit
und Rechtsgleichheit, hat sich Preußens neue regierende Klasse, das könig-
liche Beamtenthum geschult. Aus jenem heimathlosen Dienergeschlechte,
das im siebzehnten Jahrhundert von Hof zu Hof umherzog, ward nach
und nach ein preußischer Stand, der sein Leben dem Dienste der Krone
hingab und in ihrer Ehre die seine fand, streng, thätig und gewissenhaft
wie sein König. Er verkümmerte nicht, wie die Herren Stände der alten
Zeit, in dem engen Gesichtskreise der Landschaft und der Vetterschaft;
er gehörte dem Staate an, lernte sich heimisch fühlen in Königsberg wie
in Cleve und wahrte in den Klassenkämpfen der Gesellschaft gegen Hoch
und Niedrig das Gesetz des Landes. Der König aber gab seinen Be-
amten durch eine feste Rangordnung und gesicherten Gehalt eine geachtete
Stellung im bürgerlichen Leben, forderte von jedem Eintretenden den
Nachweis wissenschaftlicher Kenntnisse und begründete also eine Aristokratie
der Bildung neben der alten Gliederung der Geburtsstände. Die Folge
lehrte, wie richtig er die lebendigen Kräfte der deutschen Gesellschaft ge-
schätzt hatte; die besten Köpfe des Adels und des Bürgerthums strömten
der neuen regierenden Klasse zu. Das preußische Beamtenthum wurde
für lange Jahre die feste Stütze des deutschen Staatsgedankens, wie einst
die Legisten Philipp's des Schönen die Pioniere der französischen Staats-
einheit waren.
Zu der Steuerpflicht, welche der große Kurfürst seinen Unterthanen
auferlegt, fügte Friedrich Wilhelm I. die Wehrpflicht und die Schulpflicht
hinzu; er stellte also die Dreizahl jener allgemeinen Bürgerpflichten fest,
welche Preußens Volk zur lebendigen Vaterlandsliebe erzogen haben.
Ahnungslos brach sein in der Beschränktheit gewaltiger Geist die Bahn
für eine strenge, dem Bürgersinne des Alterthums verwandte Staats-
gesinnung. Der altgermanische Gedanke des Waffendienstes aller wehr-
baren Männer war in den kampfgewohnten deutschen Ostmarken selbst
während der Zeiten der Söldnerheere niemals gänzlich ausgestorben. In
Ostpreußen bestanden noch bis in's achtzehnte Jahrhundert die Trümmer
der alten Landwehr der Wybranzen, und Friedrich I. unternahm eine
Landmiliz für den gesammten Staat zu bilden. Vor dem Soldatenauge
seines Sohnes fanden solche Versuche ungeregelter Volksbewaffnung keine
Gnade. König Friedrich Wilhelm kannte die Ueberlegenheit wohlgeschulter
stehender Heere; er sah, daß sein Staat nur durch die Anspannung aller
Kräfte bestehen und doch die Kosten der Werbungen auf die Dauer nicht
erschwingen konnte. Wie ihm überall hinter dem Gebote der politischen
Pflicht jede andere Rücksicht zurücktrat, so gelangte er zu dem kühnen
Schlusse, daß alle Preußen durch die Schule des stehenden Heeres gehen