Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

516 I. 5. Ende der Kriegszeit. 
Bekanntmachungen in beiden Sprachen. Der neue Generalgouverneur, 
Oberpräsident Sack, selber ein geborener Rheinländer, verstand mit den 
Leuten umzugehen; war er doch wie sie ein abgesagter Feind aller stän- 
dischen Vorrechte und dem brandenburgischen Adel seit Jahren verdächtig. 
So weit es anging, suchte er das Volk selber zu den Verwaltungsgeschäften 
heranzuziehen. Mehrmals wurden die alten Generalräthe — Landes- 
deputirte hießen sie jetzt — nach Aachen berufen um über die Vertheilung 
der Kriegssteuern und Lieferungen zu berathschlagen; in jedem Canton 
ward ein unbesoldeter Commissär aus der Mitte der Eingesessenen er- 
nannt, der die Wünsche und Beschwerden des Bezirks dem Gouvernement 
vortragen sollte.'!) Aber die Masse der neuen Beamten, die in die Stellen 
der entflohenen Franzosen einrückten, der unvermeidliche Druck der Kriegs- 
steuern und die Unsicherheit der provisorischen Zustände erweckten bald 
Unwillen in dem leicht erregbaren Volke. Nicht lange, und der Ruf: 
„da möchte man doch gleich provisorisch werden“ war eine beliebte rhein- 
ländische Verwünschung. Jetzt schon ließ sich erkennen, wie viel schwere 
Arbeit dereinst noch nöthig sein würde um diese halbverwälschten Krumm- 
stabslande wieder einzufügen in das neue deutsche Leben. Nur die alt- 
preußischen Unterthanen im linksrheinischen Cleve, in Mörs und Geldern, 
schlossen sich mit ungemischter Freude der vaterländischen Sache an und 
begannen bereits auf Bülow's Aufforderung ihre Landwehr zu bilden. 
Da fuhr plötzlich der Oberbefehlshaber Bernadotte, der noch immer auf 
Frankreichs Krone hoffte, mit einem Verbote dazwischen und erklärte: fran- 
zösische Unterthanen dürften nicht gegen Frankreich fechten! 
Wunderbarer Kreislauf der Geschicke! Von diesen schönen rheinischen 
Landen war vor einem Jahrtausend unsere Geschichte ausgegangen: jetzt 
fluthete der mächtige Strom des deutschen Lebens aus den jungen Colo- 
nistenlanden des Nordostens wieder nach Westen zurück in sein verschüt- 
tetes altes Bette. Keiner unter den Söhnen des Rheinlandes grüßte den 
neuen Morgen, der über der Westmark aufging, mit so schwärmerischem 
Entzücken wie Joseph Görres. Der Heißsporn trat jetzt in die glücklichste 
und fruchtbarste Zeit seines wechselnden Lebens; er kehrte von seinen 
wunderlichen wissenschaftlichen Irrfahrten zurück zu der publicistischen 
Thätigkeit seiner Jugend und begann in dem Rheinischen Mercur den 
Federkrieg für das neue Deutschthum — noch ganz so stürmisch, un- 
bändig, gewaltsam wie vor Jahren, als er die Heilswahrheiten der Re- 
volution verkündete, ein Redner großen Stiles, sprachgewaltig, unerschöpf- 
lich in prächtigen, grandiosen Bildern, ein ehrlicher, freimüthiger Eiferer, 
ein Wecker der Gewissen, und bei Alledem doch ein unpolitischer Kopf, 
ohne eindringende Sachkenntniß, ohne Verständniß für die Machtverhält- 
  
*) Sack's Generalbericht über die provisorische Verwaltung am Mittel= und Nieder- 
rhein, 31. März 1816.
	        
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