Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Verhandlungen über den Kriegsplan. 525 
sein Ansehen unter den Veteranen der Mittelstaaten. Die Bauern in 
Franken und im Schwarzwalde, die noch immer viel vom Erzherzog Karl 
und den Feldzügen der neunziger Jahre erzählten, wußten von diesem 
Kriege wenig. Der rückhaltlose Einmuth einer allgemeinen Erhebung war 
den Deutschen auch jetzt noch nicht beschieden. Erst in weit späteren Tagen 
erregten die historische Wissenschaft und der endlich erwachte Einheitsdrang 
unter den Süddeutschen eine nachträgliche Begeisterung für den Befreiungs— 
krieg, wie sie die Zeitgenossen in solchem Maaße nicht gehegt hatten. 
Während die Mächte mit den süddeutschen Höfen verhandelten, be— 
riethen sie zugleich unter sich über die Fortsetzung des Krieges. Frank— 
reich lag wehrlos vor der Spitze ihres Schwertes; es stand wirklich so, 
wie Ney späterhin spottete: „Die Herren Alliirten konnten Marsch für 
Marsch ihre Nachtquartiere bis nach Paris im Voraus bestimmen.“ 
Radetzky wies in einer lichtvollen Denkschrift auf die entscheidende That— 
sache hin, daß Napoleon kein Heer mehr besitze und mithin der Winter— 
feldzug seine Schrecken verliere. Selbst Schwarzenberg war für den Ein— 
marsch in Frankreich, schon weil er nicht absah, wie er diese ungeheuren 
Heeresmassen in den ausgesogenen deutschen Landen verpflegen sollte; 
„meine Basis“, meinte er zuversichtlich, „ist Europa vom Eismeere bis 
zum Hellespont, für diese wird doch Paris das Operationsobject sein 
dürfen?" Noch weit nachdrücklicher mahnte Gneisenau seinen König zu 
raschem Vorgehen, bevor die lockere Coalition sich auflöse; wenn man 
sogleich von den Niederlanden und dem Mittelrheine her das französische 
Land an seiner verwundbarsten Stelle packe, so sei der gefürchtete drei- 
fache Festungsgürtel der Ostgrenze für Napoleon nicht ein Schutz, son- 
dern ein Nachtheil, da dem Imperator die Truppen zur Besetzung der 
festen Plätze fehlten. Blücher endlich war von Haus aus nicht darüber 
im Zweifel gewesen, daß dieser Krieg nur an der Seine enden dürfe: 
„der Tyrann hat alle Hauptstädte besucht, geplündert und bestohlen; wir 
wollen uns so was nicht schuldig machen, aber unsere Ehre fordert das 
Vergeltungsrecht, ihn in seinem Neste zu besuchen.“" 
Dem schlichten Verstande erschien die Lage so einfach, daß sogar 
Erzherzog Johann, ein keineswegs heroischer Geist, die Einnahme von 
Paris als sicher ansah. Aber in der diplomatischen Welt herrschte seit 
Jahrhunderten unerschütterlich wie ein Glaubenssatz die Meinung, Frank- 
reich sei auf seinem eigenen Boden unbesiegbar. Hatten doch selbst Karl V. 
und Prinz Eugen, die allezeit Glücklichen, nichts ausgerichtet, als sie in 
das Innere des Landes einzudringen wagten; und wie kläglich war der 
Feldzug von 1792 verlaufen, obgleich Frankreich auch damals kein schlag- 
fertiges Heer besaß. Die Franzosen Bernadotte und Jomini schilderten 
die Gefahren des vermessenen Unternehmens in den dunkelsten Farben. 
Knesebeck rieth besorglich die Götter nicht zu versuchen. York grollte über 
den elenden Zustand seines tapferen Corps und verlangte mindestens
	        
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