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es geradezu unwürdig hinauszugehen über die Frankfurter Bedingungen,
welche Napoleon doch selbst verworfen hatte. Mehr und mehr befestigte
sich das englische Cabinet in dem Glauben, die Demüthigung Rußlands sei
die nächste Aufgabe der britischen Politik. Metternich aber verstand, den
Verzicht auf Belgien, der in der Hofburg von Haus aus beschlossene
Sache war, geschickt so darzustellen, als ob Oesterreich dem theueren eng-
lischen Freunde ein schweres Opfer brächte, und gewann sich dadurch
das volle Vertrauen der Briten. Wie hätten solche Köpfe vollends die
Biedermannsmaske des guten Kaisers Franz durchschauen sollen? Ganz
hingerissen schrieb Castlereagh über diesen reinen Charakter, der über alle
Verstellung hoch erhaben sei. Auch Nesselrode neigte sich der Friedens-
partei zu; Hardenberg klagte über Stein's Intriguen und gab sich der be-
strickenden Liebenswürdigkeit des Oesterreichers mit einem arglosen Ver-
trauen hin, das auch durch die härtesten Enttäuschungen nicht belehrt
wurde. Die Coalition war nahe daran, bevor noch eine Schlacht auf fran-
zösischem Boden gewagt worden, den Frieden auf die Frankfurter Bedin-
gungen hin abzuschließen. Und dies unter den denkbar günstigsten militäri-
schen Aussichten, während man nur acht Märsche von Paris entfernt stand!
Das Heer Schwarzenberg's zählte 190,000, das Blücher's 83,000
Mann — eine erdrückende Uebermacht, obgleich die Heerhaufen von Genf
bis zur Mosel verzettelt waren. Napoleon war zwar nicht mehr, wie er
im November selbst gestanden, zu jedem kriegerischen Unternehmen unfähig,
sondern hatte, Dank dem Zaudern der Alliirten, eine neue Feldarmee
gebildet, aber nur 70,000 Mann, meistentheils ungeschulte muthlose
Rekruten, während die Truppen der Verbündeten aus krieggewohnten,
siegesfrohen Soldaten bestanden. Der Schimpf eines Friedensschlusses
in solcher Lage wurde durch die Monarchen von Rußland und Preußen,
mit Stein's Hilfe, abgewendet. Alexander drohte den Feldzug nöthigen-
falls allein fortzuführen, und da der König erklärte, daß er sich von
seinem Freunde nicht trennen werde, so gab Oesterreich zur Hälfte nach
und man einigte sich über ein Compromiß: der Krieg sollte fortgesetzt,
aber gleichzeitig eine große Friedensunterhandlung in Chatillon eröffnet
werden. Von der Absetzung Napoleon's, überhaupt von Frankreichs in-
neren Verhältnissen sah man vorläufig ab. Auch über die Entschädigungs-
ansprüche der einzelnen Mächte sollte erst nach dem Kriege verhandelt
werden; dies verlangte Alexander nicht bloß, weil er seine polnischen Pläne
nicht aufdecken wollte, sondern auch weil die Coalition in der That schon
auf zu schwachen Füßen stand als daß sie die Erörterung so peinlicher
Fragen jetzt noch hätte ertragen können.
Widerwillig nahm Metternich diese Beschlüsse an, widerwillig führte
Schwarzenberg sie aus. Blücher hatte am 29. Januar bei Brienne mit
geringem Glücke ein Gefecht gegen Napoleon bestanden; er brannte vor Be-
gier, hier im Angesichte des Schlosses, wo der große Kriegsfürst des Jahr-