Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Blücher's zweiter Marsch auf Paris. 549 
halten und nach heftigem Streite der Antrag Blücher's angenommen. 
Jenes sonderbare Verhältniß, das im letzten Sommer nur thatsächlich 
bestanden hatte, erhielt jetzt die amtliche Anerkennung: das kleine schlesische 
Heer übernahm den Hauptstoß zu führen, die große Armee verhielt sich 
abwartend. Der Ausgang des Feldzugs, schrieb Friedrich Wilhelm seinem 
Feldmarschall, liegt von nun an zunächst in Ihrer Hand. 
Während Blücher seelenfroh, ohne erst die Erlaubniß der Monarchen 
abzuwarten seinen zweiten Marsch gegen Paris antrat, wiederholte sich 
im großen Hauptquartiere tagaus tagein das alte Spiel. „Die Erbitte- 
rung und das Mißtrauen Oesterreichs sind auf dem Gipfel“ — klagte 
der Staatskanzler.“') Unaufhörlich ließ der Imperator die Oesterreicher 
durch geheime Zuschriften bearbeiten, und Kaiser Franz ging auf diese 
vertragswidrigen Sonderverhandlungen mit verdächtigem Eifer ein. Wollt 
Ihr noch immer, so fragte Berthier den Oberfeldherrn der Alliirten, Euer 
reinstes Blut vergießen um die übel berechnete Rachsucht Rußlands und 
die selbstsüchtige Politik Englands zu befriedigen? Die Angst vor der 
Uebermacht des Czaren lastete schwer und schwerer auf dem Wiener Ca- 
binette. Das Gleichgewicht in Osteuropa zu sichern — dies bezeichnete 
Gentz in seinen Briefen an Karadja als die Hauptaufgabe der nächsten 
Zukunft; ein Friede, der den Franzosen das linke Rheinufer überlasse, 
sei immer noch weniger traurig als der Sturz Napoleon's. Und was 
anders als die Entthronung des Schwiegersohnes konnte die Folge sein 
wenn der Zug der Schlesier gelang? Die Unmöglichkeit mit diesem Manne 
einen ehrlichen Frieden zu schließen ließ sich seit den Erfahrungen von 
Chatillon nicht mehr verkennen. Der Mensch muß herunter! — darüber 
war nur eine Stimme in der preußischen Armee. Und schon traten seine 
glücklichen Erben auf den Schauplatz; der Graf von Artois erschien in 
Frankreich, im Rücken der verbündeten Heere und fand an Stein einen 
warmen Fürsprecher. Der deutsche Staatsmann wußte wohl, welch ein 
Wagniß es sei ein Herrscherhaus, das einer längst versunkenen Zeit an- 
gehörte, zurückzuführen. Der Czar haßte die steife Hoffart der Bour- 
bonen, der König liebte sie nicht; unter den verbündeten Monarchen zeigte 
allein der welfische Prinzregent, als unbedingter Anhänger des göttlichen 
Königsrechts, lebhaften Eifer für die alte Dynastie. Gleichwohl gewann 
ihre Sache täglich an Boden, denn Niemand wußte einen anderen Nach- 
folger für Napoleon vorzuschlagen. « 
Um so ängstlicher ging Oesterreich der Entscheidung aus dem Wege. 
Hatte man den Zug Blücher's leider nicht verhindern können, so durfte 
mindestens Schwarzenberg nichts Entscheidendes wagen. Seine Truppen 
fühlten sich schon ganz niedergeschlagen von dem ewigen Rückzuge und 
den ziellosen Hin= und Hermärschen. In der zweiten Hälfte des Decembers 
  
*) Hardenberg's Tagebuch, 27. Februar 1814.
	        
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