Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Haß der Deutschen gegen Preußen. 47 
er so dastand, eine jugendlich unreife Gestalt, knochig und sehnig, Kraft 
und Trotz im Blicke, aber unschön, ohne die Fülle der Formen, aller An— 
muth, alles Adels baar. Die alte Abneigung der Deutschen gegen das 
vordringliche Brandenburg wurde durch die böotische Rauheit Friedrich 
Wilhelm's J. bis zu leidenschaftlichem Widerwillen gesteigert. Dem Histo— 
riker ziemt es nicht, die erschreckend grellen Farben unserer neuen Geschichte 
mit weichem Pinsel zu verwischen; es ist nicht wahr, daß dieser tiefe Haß 
der Nation nur verhaltene Liebe gewesen sei. Damals bildete sich in der 
öffentlichen Meinung jene aus Wahrem und Falschem seltsam gemischte 
Ansicht vom Wesen des preußischen Staates, die in den Kreisen der 
deutschen Halbbildung an hundert Jahre lang geherrscht hat und noch 
heutzutage in der Geschichtschreibung des Auslands die Oberhand be— 
hauptet. Dies Land der Waffen erschien dem Deutschen wie eine weite 
Kaserne. Nur der dröhnende Gleichtritt der Potsdamer Riesengarde, der 
barsche Commandoruf der Offiziere und das Jammergeschrei der durch 
die Gasse gejagten Deserteure klang aus der dumpfen Stille des großen 
Kerkers in's Reich hinüber; von den Segenswünschen, welche der dank— 
bare litthauische Bauer für seinen gestrengen König zum Himmel schickte, 
hörte Deutschland nichts. Der Adel im Reich sah eben jetzt goldene Tage. 
In Hannover waltete das Regiment der Herren Stände schrankenlos 
seit der Kurfürst im fernen England weilte; das sächsische Junkerthum 
benutzte den Uebertritt seines Polenkönigs zur römischen Kirche um sich 
neue ständische Privilegien zu erringen und tummelte sich in Saus und 
Braus an dem schamlosen Hofe der albertinischen Landverderber; zornig 
zugleich und geringschätzig schauten die stolzen Geschlechter der Nachbar— 
lande auf den bürgerlich-soldatischen Despotismus der Hohenzollern, der 
die fröhliche Zeit der Adelsherrschaft so gewaltsam störte. 
Auch der Bürgersmann wollte sich zu dem preußischen Wesen kein 
Herz fassen. Er betrachtete bald mit ironischem Mitleid bald mit scheuer 
Furcht den eisernen Fleiß und die unbestechliche Strenge der preußischen 
Beamten; er meinte alle Heiligkeit des Rechtes bedroht, wenn er die neue 
Verwaltung, in beständigem Kampfe mit den Gerichten, über die alten 
Freiheitsbriefe der Landschaften und Communen rücksichtslos hinweg- 
schreiten sah, und ahnte nicht, daß dies alte Leben, das hier zertreten 
ward, nur das wimmelnde Leben der Verwesung war. Mit besserem 
Rechte zürnten die Gelehrten. Die gesammte akademische Welt fühlte sich 
schmählich beleidigt, als der rohe König mit dem wackeren J. J. Moser 
und den Frankfurter Professoren seine höhnischen Possen trieb. Wie der 
Anblick der steifen trockenen soldatischen Ordnung auf reiche Künstler- 
seelen wirkte, das bekundet uns noch der überströmende Haß, welchen der 
größte Preuße jener Tage seinem Vaterlande widmete. Mit glühender 
Sehnsucht strebte Winckelmann hinaus aus der schweren und erstickenden 
Luft des vermaledeiten Landes, und als er endlich den Staub der alt-
	        
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