50 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
und nirgends konnte dieser unerbittliche Realismus so reinigend und
zerstörend, so revolutionär wirken wie in der großen Fabelwelt des
römischen Reichs. Nichts schonungsloser als Friedrich's Hohn wider die
heilige Majestät des Kaisers Franz, der am Schürzenbande seiner Ge-
mahlin gegängelt wird und, ein würdiger König von Jerusalem, für die
Heere der Königin von Ungarn einträgliche Lieferungsgeschäfte besorgt;
nichts grausamer als sein Spott über „das Phantom“ der Reichsarmee,
über die dünkelhafte Nichtigkeit der kleinen Höfe, über die Formelkrämerei
„dieser verfluchten Perrücken von Hannover“, über den leeren Hochmuth
des staatlosen Junkerthums in Sachsen und Mecklenburg, über „diese
ganze Rasse von Prinzen und Leuten Oesterreichs"': — wer vor den
Großen dieser Welt die Kniee beugt, „der kennt sie nicht!“
Im vollen Bewußtsein der Ueberlegenheit hält er den Schattenbildern
des Reichsrechtes die gesunde Wirklichkeit seines modernen Staates ent-
gegen; eine ingrimmige Schadenfreude spricht aus seinen Briefen, wenn
er „die Pedanten von Regensburg" des Krieges eherne Nothwendigkeit
empfinden läßt. Friedrich vollzog durch die That, was die streitbaren
Publicisten des vergangenen Jahrhunderts, Hippolithus und Severinus,
nur mit Worten versucht hatten: er hielt dem „unheimlich leichenhaften
Angesicht Germaniens“ den Spiegel vor, erwies vor aller Welt die
rettungslose Fäulniß des heiligen Reichs. Mochten wohlmeinende Zeit-
genossen ihn schelten, weil er das altehrwürdige Gemeinwesen dem Ge-
lächter preisgegeben: die Nachwelt dankt ihm, denn er hat die Wahrheit
wieder zu Ehren gebracht in der deutschen Politik, wie Martin Luther
einst im deutschen Denken und Glauben.
Friedrich hatte jene streng protestantische Ansicht von deutscher Ge-
schichte und Reichspolitik, die seit Pufendorf und Thomasius unter den
freieren Köpfen Preußens vorherrschte, frühe in sich aufgenommen und
sie dann, unter den erbitternden Erfahrungen seiner freudlosen Jugend,
scharf und selbständig weiter gebildet. Er sieht in der Erhebung der
Schmalkaldener, im dreißigjährigen Kriege, in allen Wirren der jüngsten
zwei Jahrhunderte nichts als den unablässigen Kampf der deutschen Frei-
heit wider den Despotismus des Hauses Oesterreich, das die schwachen
Fürsten des Reichs „mit eisernem Scepter“ als Sklaven beherrsche und
nur die starken frei gewähren lasse. Nicht ohne Willkür legt er sich die
Thatsachen der Geschichte nach dieser einseitigen Auffassung zurecht; die
dem Lichte und dem Leben zugewandte Einseitigkeit bleibt ja das Vorrecht
des schaffenden Helden. Jenen alten Kampf siegreich hinauszuführen
scheint ihm die Aufgabe des preußischen Staates. In seinen jungen
Jahren steht er noch treu zur evangelischen Sache; er preist die rühm-
liche Pflicht des Hauses Brandenburg „die protestantische Religion überall
im deutschen Reiche und in Europa zu fördern“ und bemerkt in Heidel-
berg voll Unmuth, wie hier in der alten Herrscherstätte unserer Kirche