Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

50 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
und nirgends konnte dieser unerbittliche Realismus so reinigend und 
zerstörend, so revolutionär wirken wie in der großen Fabelwelt des 
römischen Reichs. Nichts schonungsloser als Friedrich's Hohn wider die 
heilige Majestät des Kaisers Franz, der am Schürzenbande seiner Ge- 
mahlin gegängelt wird und, ein würdiger König von Jerusalem, für die 
Heere der Königin von Ungarn einträgliche Lieferungsgeschäfte besorgt; 
nichts grausamer als sein Spott über „das Phantom“ der Reichsarmee, 
über die dünkelhafte Nichtigkeit der kleinen Höfe, über die Formelkrämerei 
„dieser verfluchten Perrücken von Hannover“, über den leeren Hochmuth 
des staatlosen Junkerthums in Sachsen und Mecklenburg, über „diese 
ganze Rasse von Prinzen und Leuten Oesterreichs"': — wer vor den 
Großen dieser Welt die Kniee beugt, „der kennt sie nicht!“ 
Im vollen Bewußtsein der Ueberlegenheit hält er den Schattenbildern 
des Reichsrechtes die gesunde Wirklichkeit seines modernen Staates ent- 
gegen; eine ingrimmige Schadenfreude spricht aus seinen Briefen, wenn 
er „die Pedanten von Regensburg" des Krieges eherne Nothwendigkeit 
empfinden läßt. Friedrich vollzog durch die That, was die streitbaren 
Publicisten des vergangenen Jahrhunderts, Hippolithus und Severinus, 
nur mit Worten versucht hatten: er hielt dem „unheimlich leichenhaften 
Angesicht Germaniens“ den Spiegel vor, erwies vor aller Welt die 
rettungslose Fäulniß des heiligen Reichs. Mochten wohlmeinende Zeit- 
genossen ihn schelten, weil er das altehrwürdige Gemeinwesen dem Ge- 
lächter preisgegeben: die Nachwelt dankt ihm, denn er hat die Wahrheit 
wieder zu Ehren gebracht in der deutschen Politik, wie Martin Luther 
einst im deutschen Denken und Glauben. 
Friedrich hatte jene streng protestantische Ansicht von deutscher Ge- 
schichte und Reichspolitik, die seit Pufendorf und Thomasius unter den 
freieren Köpfen Preußens vorherrschte, frühe in sich aufgenommen und 
sie dann, unter den erbitternden Erfahrungen seiner freudlosen Jugend, 
scharf und selbständig weiter gebildet. Er sieht in der Erhebung der 
Schmalkaldener, im dreißigjährigen Kriege, in allen Wirren der jüngsten 
zwei Jahrhunderte nichts als den unablässigen Kampf der deutschen Frei- 
heit wider den Despotismus des Hauses Oesterreich, das die schwachen 
Fürsten des Reichs „mit eisernem Scepter“ als Sklaven beherrsche und 
nur die starken frei gewähren lasse. Nicht ohne Willkür legt er sich die 
Thatsachen der Geschichte nach dieser einseitigen Auffassung zurecht; die 
dem Lichte und dem Leben zugewandte Einseitigkeit bleibt ja das Vorrecht 
des schaffenden Helden. Jenen alten Kampf siegreich hinauszuführen 
scheint ihm die Aufgabe des preußischen Staates. In seinen jungen 
Jahren steht er noch treu zur evangelischen Sache; er preist die rühm- 
liche Pflicht des Hauses Brandenburg „die protestantische Religion überall 
im deutschen Reiche und in Europa zu fördern“ und bemerkt in Heidel- 
berg voll Unmuth, wie hier in der alten Herrscherstätte unserer Kirche
	        
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