622 II. 1. Der Wiener Congreß.
der Acht war der amtliche Congreß, doch er ward nur sehr selten und
lediglich der Form halber versammelt, da drei von den puissances signa-
trices in der Staatengesellschaft nur noch wenig bedeuteten. Zunächst
hatte Talleyrand lediglich erreicht, daß Alles formlos und haltlos durch-
einander wogte. Ohne nach dem Comité der Acht zu fragen begannen
die vier alliirten Großmächte unter sich vertrauliche Unterredungen über
die polnische Frage.
Wie mächtig hatte sich doch in wenigen Tagen Talleyrand's Ansehen
gehoben! Als er ankam, wurde er in den Salons ängstlich gemieden,
desgleichen sein Amtsgenosse, der Herzog von Dalberg, der als ein Ueber-
läufer bei allen Deutschen in schlechtem Rufe stand; nur der gutmüthige
Gagern nahm sich der Verlassenen an. Jetzt suchten die Diplomaten
den gewandten Franzosen eifrig auf, am eifrigsten natürlich die bedrängten
Sachsen. Höchstwahrscheinlich hat er wie Metternich von dem sächsischen
Hofe große Geldsummen erhalten. Das galt in diesen Kreisen für durch-
aus unverfänglich; verzeichnete doch Gentz in seinen Tagebüchern mit der
Ruhe des guten Gewissens die Summen, die ihm von der französischen
Gesandtschaft bezahlt wurden. Talleyrand's geheimer Verkehr mit dem
gefangenen Könige war den preußischen Staatsmännern wohl bekannt,)
und umsonst pflegte er seine Freundschaftsdienste nicht zu leisten. Ein
urkundlicher Beweis für die Bestechung wird sich allerdings wohl niemals
führen lassen, denn die Rechnungen der sächsischen Chatoulle sind später-
hin auf Befehl des Königs von Sachsen, und sicherlich aus guten Grün-
den, verbrannt worden. Uebrigens hat die ganze Frage nur für die
Skandalsucht oder die moralisirende Kleinmeisterei irgend welche Bedeu-
tung, nicht für das ernste historische Urtheil. Talleyrand's Bestechlichkeit
ist allbekannt, wird selbst von seinem Lobredner Hans von Gagern nicht
in Abrede gestellt; gleichgiltig also, wie oft und von wem er sich bezahlen
ließ. Dem sächsischen Hofe aber gereicht nur zur Schande, daß er die
alte Politik des Landesverrathes weiter führte; ob er dafür auch Geld
aufwendete, thut nichts zur Sache. Auf den Verlauf des Congresses sind
diese schmutzigen Händel ohne jeden Einfluß geblieben; nicht das Alberti-
nische Gold, sondern das richtig erkannte Interesse ihres eigenen Staates
bestimmte die Haltung der österreichischen wie der bourbonischen Staats-
männer. Der französische Gesandte in Berlin äußerte unverhohlen zu
Jedermann: Friedrich August ist Frankreichs treuester Verbündeter gewesen,
wir dürfen ihn nicht verlassen.
Zugleich spielte Talleyrand den großmüthigen Beschützer aller deut-
schen Souveräne. Die kleinen Herren waren allesammt in übler Stim-
mung; Gebietsvergrößerungen standen zu Wien nicht in Aussicht, und
das natürliche Uebergewicht der großen Mächte machte sich schwer fühlbar.
*) Humboldt an Hardenberg, 27. Jan. 1815.