632 II. 1. Der Wiener Congreß.
seine liberalen Grundsätze so keck zur Schau trage; immer traulicher ward
sein Verkehr mit Talleyrand und Langenau. Metternich sah weiter. Er
begriff, daß es noch nicht an der Zeit war die Maske fallen zu lassen,
und wollte den vertrauensvollen preußischen Freund so lange in seinem
holden Wahne erhalten, bis Preußen sich mit Rußland überworfen habe
und gänzlich vereinzelt dastehe; darum war er geneigt, der vorläufigen
Occupation von Sachsen zuzustimmen. Nach wenigen Tagen, am 14. Oc-
tober, wurde Gentz selber durch Castlereagh's Zureden zu der Ansicht seines
ruhigeren Freundes bekehrt. Oesterreich genehmigte, daß preußische Trup-
pen in Sachsen einrückten — sans reconnattre le principe, wie Gentz
befriedigt hinzufügt. Durch dies Zeichen des Wohlwollens bestärkte man
den preußischen Staatskanzler in seinem arglosen Vertrauen und behielt
doch freie Hand für die letzte Entscheidung.
Um so schwieriger war die Erwiderung auf Hardenberg's drei Fragen;
erst am 22. October kam Metternich damit zu Stande. Die zweite der
preußischen Fragen — wegen der Versetzung Friedrich August's nach den
Legationen — wurde in der k. k. Antwort mit keinem Wort erwähnt,
was nach altem diplomatischem Brauche einer unbedingten Weigerung
gleich kam. Die dritte — wegen Mainz — wurde entschieden verneint.
Diesen Platz, welchen Kaiser Franz selber im Jahre 1797 gegen Venedig
an die Franzosen preisgegeben, erklärte Metternich jetzt für die einzige
Festung, die einen Marsch gegen die untere Donau verhindere, ja für
den einzigen Handelsplatz, welcher Oesterreich den Zugang zu den nörd-
lichen Meeren eröffne — eine erstaunliche Behauptung, die sich nur aus
den noch erstaunlicheren geographischen und volkswirthschaftlichen Kennt-
nissen des k. k. Staatsmannes erklären läßt. „Niemals wird der Kaiser
darauf verzichten.“ Soll der Deutsche Bund unter dem gleichmäßigen
Einfluß von Oesterreich und Preußen stehen und Süddeutschland in seinen
gerechten Ansprüchen befriedigt werden, so darf Preußen das linke Mosel-
ufe#r nicht überschreiten. Also dem preußischen Freunde wurde jetzt selbst
Coblenz abgesprochen und die unhaltbarste aller deutschen Flußgrenzen
angeboten! Auf Hardenberg's erste Frage endlich erwiderte Metternich:
sein Kaiser würde nur mit Schmerz die Entthronung eines der ältesten
Geschlechter sehen; die Einverleibung widerspreche dem Interesse Oester-
reichs, könne unter den deutschen Fürsten nur Mißtrauen gegen Preußen,
Anklagen gegen Oesterreich hervorrufen; der Kaiser hoffe, Preußen werde
dem gefangenen Könige mindestens ein Stück Landes an der böhmischen
Grenze lassen. „Wenn aber die Gewalt der Umstände die Einverleibung
Sachsens unvermeidlich machen sollte,“ dann behält sich Oesterreich Ver-
abredungen über die Festungen und Grenzplätze, über Handel und Schiff-
fahrt vor. Der Kaiser rechne auf „die unbedingte Uebereinstimmung des
Vorgehens“ der beiden Höfe in der polnischen Sache, auf eine Verstän-
digung über die gemeinsame Ausführung der „lichtvollen“ Castlereagh'schen