Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

634 II. 1. Der Wiener Congreß. 
lands und Europas nützlich gewesen; wenn aber die Einverleibung Sachsens 
von den Verbündeten als unvermeidlich angesehen werde, dann wolle 
Oesterreich dies schwere Opfer bringen unter der zweifachen Bedingung: 
daß das Gleichgewicht in Deutschland nicht durch das Vorrücken Preußens 
südwärts der Mosel gestört werde, und daß die Einverleibung „nicht die 
Entschädigung bilde für die Zustimmung zu Vergrößerungsabsichten“. Die 
fast wörtliche Uebereinstimmung dieses dunklen Satzes mit Castlereagh's 
Note vom 11. October legt abermals den Gedanken nahe, daß der edle 
Lord bei dem verschlungenen Ränkespiel nur ein argloses Werkzeug Met— 
ternich's gewesen ist. Der österreichische Staatsmann hielt das Spiel be— 
reits für gewonnen und war der blinden Hingebung des preußischen 
Staatskanzlers so sicher, daß er ihn in einer neuen Note vom 2. No— 
vember geradezu aufforderte, mit Oesterreich vereint das aberwitzige pol— 
nische Programm Lord Castlereagh's zu unterstützen; Preußen sollte ver— 
langen entweder die Herstellung des Polenreichs von 1771 oder den Zu— 
stand von 1791 oder endlich zum allermindesten die Theilung Polens 
nach dem Laufe der Weichsel! Dies Allermindeste war selbstverständlich 
die eigentliche Absicht der Hofburg. Wahrlich, Preußens Staatsmänner 
mußten mit Blindheit geschlagen sein, wenn sie jetzt nicht bemerkten, daß 
Oesterreich überall, in Sachsen, in Polen wie am Rhein, das Gegentheil 
der preußischen Pläne verfolgte. 
Und doch hat es noch lange gewährt, bis dem Staatskanzler und 
Wilhelm Humboldt die Augen aufgingen. Seltsam, wie künstlich die beiden 
geistreichen Männer sich drehten und wendeten um nur das Nächstliegende, 
das treulose Doppelspiel der Hofburg, nicht zu bemerken. Sofort nach 
Empfang der österreichischen Note vom 22. October begannen lebhafte 
Berathungen im Schooße des preußischen Cabinets. Am 23. stellte Hum- 
boldt die leitenden Gedanken für die Beantwortung der Note zusammen.“) 
Hier spricht er noch ganz ohne Mißtrauen, wiederholt nochmals alle Gründe, 
die für die Einverleibung Sachsens sprechen: Preußen vertragsmäßigen 
Anspruch auf Entschädigung, und die Nothwendigkeit, durch „eine politische 
Lection“ zu zeigen, „daß ein Fürst nicht ungestraft gegen die Interessen 
der Nation, welcher sein Volk angehört, handeln darf.“ Der Kalische 
Vertrag und die Vergrößerung Rußlands in Polen war eine unerfreu- 
liche aber unvermeidliche Folge der Lage, „des falschen Systems die Ueber- 
macht des Westens durch den Osten zu bekämpfen. Gerade damit dies 
nicht wieder vorkomme, müssen die Mächte Mitteleuropas und namentlich 
Preußen verstärkt werden.“ Zerstreute Gebiete in Polen, Deutschland oder 
Belgien reichen zu solcher Verstärkung nicht aus, „man darf die großen 
Mächte nicht als Zahlenwerthe behandeln."“ Darum ist die Einverleibung 
Sachsens für Oesterreich nicht ein dem preußischen Bündniß, sondern ein 
  
*) Humboldt's Denkschrift über den Brief des Fürsten Metternich, 23. Octbr. 1814.
	        
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