Befreiung Schlesiens. 57
Noch kein anderer Staat hatte in jenem Jahrhundert der Macht—
kämpfe seinem Wirken so vielseitige, so menschliche Aufgaben gestellt. Erst
die friedliche Arbeit der Verwaltung gab der Eroberung Schlesiens die
sittliche Rechtfertigung und führte den Beweis, daß jenes vielgescholtene
Wagniß eine deutsche That gewesen. Das von unheimischen Gewalten
schon halb überfluthete herrliche Grenzland wurde durch das preußische
Regiment dem deutschen Volksthum zurückgegeben. Schlesien war das
einzige der deutsch-österreichischen Erblande, wo die Politik der Glaubens—
einheit eines vollen Sieges sich nicht rühmen konnte. Mit unüberwind-
licher Zähigkeit hatte der leichtlebig heitere deutsche Stamm in den Thälern
des Riesengebirges den Blutthaten der Liechtenstein'schen Dragoner wie
den Ueberredungskünsten der Jesuiten widerstanden. Die Mehrzahl der
Deutschen blieb dem protestantischen Bekenntniß treu. Gedrückt und miß—
achtet, aller Güter beraubt, fristete die evangelische Kirche ein ärmliches
Leben; nur die Drohungen der Krone Schweden verschafften ihr zu den
wenigen Gotteshäusern, die ihr geblieben, noch den Besitz einiger Gnaden—
kirchen. Die katholischen Polen Oberschlesiens und jene czechischen Colo—
nisten, die der Kaiserhof zum Kampfe gegen die deutschen Ketzer in's Land
gerufen, waren die Stützen der kaiserlichen Herrschaft. Beim Einmarsch
des preußischen Heeres erhob das Deutschthum wieder froh sein Haupt;
jubelnd erklang in den Gnadenkirchen das Lob des Herrn, der seinem
Volke ein Hartes erzeigt hat und ihm jetzund endlich ein Panier auf—
steckt. Der Protestantismus gewann unter dem Schutze der preußischen
Glaubensfreiheit bald das Bewußtsein seiner geistigen Ueberlegenheit wie-
der, das Polenthum verlor zusehends an Boden, und nach wenigen
Jahrzehnten standen die preußischen Schlesier in Gedanken und Sitten
ihren norddeutschen Nachbarn näher als den Schlesiern jenseits der
Grenze. Die römische Kirche aber beließ der protestantische Sieger im
Besitze fast des gesammten evangelischen Kirchenguts, und während Eng-
land seine irischen Katholiken zwang, die anglikanische Staatskirche durch
ihre Abgaben zu unterhalten, mußte in Schlesien der Protestant nach wie
vor Steuern zahlen für die katholische Kirche. Erst die landesverräthe-
rischen Umtriebe des römischen Clerus während des siebenjährigen Krieges
nöthigten den König zurückzukommen von diesem Uebermaße der Scho-
nung, das zu Ungerechtigkeit gegen die Evangelischen führte; doch auch
dann noch blieb die katholische Kirche günstiger gestellt als in irgend
einem anderen protestantischen Staate.
Das Aufblühen des schlesischen Landes unter dem preußischen Scepter
zeigte genugsam, daß die neue Provinz ihren natürlichen Herrn gefunden
hatte, daß die Entscheidung im deutschen Osten unabänderlich gefallen
war. Doch unbeirrt hielt der Wiener Hof die Hoffnung fest, die erlittene
Schmach zu rächen und den Eroberer Schlesiens wieder in den bunten
Haufen der deutschen Reichsstände hinabzustoßen, gleich allen den anderen