660 II. 1. Der Wiener Congreß.
Eindruck; man empfand immer schmerzlicher, daß man bisher gar nichts
geleistet. Und nun sollte gar dieser Congreß, der berufen war dem zer—
rütteten Welttheil eine dauerhafte Ordnung zu geben, mit einem neuen
europäischen Kriege enden?
Sehr bald sah Hardenberg ein, daß er eine solche Verantwortung
nicht übernehmen dürfe. In der Sitzung der Fünf vom 12. Januar ver—
langte er zwar nochmals das ungetheilte Sachsen; doch insgeheim berieth
er bereits seit einigen Tagen mit dem getreuen Hoffmann, ob es nicht
gerathen sei, auf einen Theil Sachsens zu verzichten, und schon am 13. Ja—
nuar entwarf er einen Plan très-confidentiel, worin er die Möglichkeit
zugab etwa 840,000 Einwohner von Sachsen wieder an Friedrich August
zu überlassen. Dafür forderte er Bayreuth, „die Wiege unserer Ahnen.
Politische und militärische Gründe rathen sowohl uns als den andern
Mächten, nicht zu gestatten, daß Frankreich, Baiern und Sachsen in den
Besitz einer ununterbrochenen, Deutschland von den Grenzen Frankreichs
bis nach Böhmen und Preußen hin durchschneidenden Querlinie kommen.“
Die Sorge vor einem neuen Rheinbunde blieb nach wie vor bestimmend
für Preußens Politik.
Sobald dieser Entschluß dem Ausschusse der Fünf bekannt wurde,
war der Boden geebnet für die Verständigung. Die sächsische Angelegen—
heit verlor den Charakter einer Principienfrage, und es begann der un—
erquickliche Streit um die einzelnen Stücke des sächsischen Landes. Die
Aufgabe der preußischen Unterhändler blieb noch immer sehr schwierig.
Sie verlangten vor Allem die Saalepässe sowie die Festungen Wittenberg
und Torgau; die Bedeutung dieser Positionen für die damalige Kriegs-
weise hatte sich in den Kriegen von 1806 und 13 genugsam gezeigt, und
— dessen hatten Hardenberg und Humboldt gar kein Hehl — ein freund-
nachbarliches Verhältniß zu den Albertinern stand auf lange Jahre hinaus
nicht zu hoffen. Sie forderten ferner den größten Theil der Lausitz mit
dem reichen Görlitz, und endlich Leipzig. Die Stadt war nicht nur hoch-
wichtig als der Mittelpunkt des geistigen wie des wirthschaftlichen Lebens
der obersächsischen Lande; der große Meßplatz mußte auch, wenn er eine
sächsische Grenzstadt blieb, voraussichtlich durch einen schwunghaften
Schmuggelhandel für das preußische Zollwesen sehr gefährlich werden.
Fast jede dieser Forderungen fand bei den Verbündeten vom 3. Januar
lebhaften Widerspruch. Talleyrand zitterte für das deutsche Gleichgewicht:
falle Torgau an Preußen, so werde Oesterreich gezwungen ein unerschwing-
lich kostspieliges Heer zu halten. Metternich wünschte den preußischen
Antheil auf die Niederlausitz zu beschränken und bot dem Staatskanzler
sogar das schon für Oesterreich selbst bestimmte Tarnopol an, wenn er
nur seine sächsischen Ansprüche ermäßige. Castlereagh endlich suchte na-
mentlich Leipzig für die Albertiner — das will sagen: für den englischen
Schmuggel — zu retten.