Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Theilung Sachsens. 661 
Höchstwahrscheinlich hätte Preußen, einem so allgemeinen Widerstande 
gegenüber, selbst in diesem letzten Stadium der sächsischen Frage nochmals 
den Kürzeren gezogen, wenn man nicht doch noch zum Degen greifen 
wollte. Jetzt aber zeigten sich die vortheilhaften Folgen jener vielgeschol— 
tenen Schwenkung des Königs. Der Czar unterstützte fest und nachdrück- 
lich jeden Anspruch seines Freundes, und da die Gegner, mit einziger 
Ausnahme Frankreichs, den Krieg nicht ernstlich wollten, so haben sie 
schließlich den meisten der preußisch-russischen Forderungen nachgegeben. 
Talleyrand's Muse schwelgte wieder in freien Erfindungen, um die feste 
Eintracht der beiden Mächte zu zersprengen. Da sollte Alexander ärger— 
lich ausgerufen haben: „Ach, wenn ich mich nur nicht so tief eingelassen 
hätte! Wenn ich nur mein Wort nicht gegeben hätte!“ — und was der 
Anekdoten mehr war. Sehr möglich, daß Czartoryski seinem kaiserlichen 
Freunde rieth die Preußen preiszugeben; Talleyrand selbst nannte den 
Polen seinen nützlichsten Vermittler. Aber die Interessen, welche die 
russische mit der preußischen Politik verbunden, waren stärker als Alexan— 
der's Launen oder der Deutschenhaß seines sarmatischen Rathgebers: wurde 
Preußen nicht vollständig entschädigt, so konnte Rußland die ersehnte Pros— 
nagrenze nicht erlangen. Darum hielt der Czar treu zu seinem Freunde 
und betrieb, wie Gentz erbost an Karadja schrieb, die preußischen Forde— 
rungen ganz so eifrig wie seine eigenen. In dem gesammten Verlaufe 
dieser letzten Verhandlungen ist es nicht ein einziges mal geschehen, daß 
Rußland sich von Preußen getrennt hätte. Wenn der Czar schließlich 
aus dem Streite größeren Vortheil zog als sein Verbündeter, so lag der 
Grund nicht in irgend einer Treulosigkeit der Russen, sondern in der That— 
sache, daß jetzt nur noch die preußischen, nicht mehr die russischen Ansprüche 
durch Oesterreich und die Westmächte bestritten wurden. Lediglich der ver— 
ständigen Politik des Königs war es zu verdanken, daß nach peinlichem 
Streite die Saalepässe und die nordthüringischen Lutherlande, die Festungen 
der Elblinie und Görlitz an Preußen kamen. Nur Leipzig wurde durch 
die englische Handelspolitik hartnäckig vertheidigt. Als alle Einigungsver— 
suche scheiterten, da entschloß sich Alexander auf Castlereagh's dringende 
Vorstellungen endlich zu einem „Opfer“, das ihm hart ankam: er bot 
(8. Febr.) zum Ersatz das feste Thorn und dessen Umgebungen. 
Es war eine kümmerliche Entschädigung und doch ein Beweis für 
Alexander's guten Willen. Seine Russen hatten sich in der Weichselfestung 
längst häuslich eingerichtet und wollten dem Czaren diese Nachgiebigkeit 
lange nicht verzeihen. Alles in Allem war das für das sächsische Volk 
so schmerzliche Compromiß der Theilung des streitigen Landes, bei der 
annähernden Gleichheit der Kräfte beider Parteien, das einzig mögliche Er- 
gebniß, da man hüben wie drüben den Krieg scheute; und daß die Theilung 
für Preußen so günstig ausfiel, daß der Albertiner die größere Hälfte 
seines Gebietes abtreten mußte, ward allein möglich durch Rußlands Beistand.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.