Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Particularistische Schriften. 681 
verwandelt und schrieb jetzt, ganz im Geiste der Karlsruher Rheinbunds— 
gesinnung, einen „Entwurf zu dem Grundvertrage des deutschen Staaten— 
bundes“. Keine Rede mehr von der tausendjährigen Geschichte der 
deutschen Nation; die souveränen Fürsten Deutschlands können sich nur 
zum Zwecke der Sicherung der inneren Ruhe und zur Vertheidigung 
gegen das Ausland verbinden; in allen anderen Angelegenheiten gilt das 
liberum veto, dergestalt, daß Bundesbeschlüsse nur die Zustimmenden 
verpflichten. Ueber diesem Chaos steht ein Bundestag in Wien, geleitet 
von dem Protector Oesterreich und dem Erzkanzler Preußen. Noch deut— 
licher sprach jener Gehilfe Münster's, Sartorius in einer Flugschrift, die 
einen Sonderbund aller Mittel- und Kleinstaaten empfahl. Das Aeußerste 
leistete ein in der diplomatischen Welt insgeheim verbreitetes Schriftchen 
„Zum Wiener Congreß“, das wahrscheinlich mit La Besnardiere's Beihilfe 
verfaßt war: hier ward ungescheut die Wiederherstellung des Rheinbundes 
für den Süden und Westen angerathen, der Norden mochte sich an Preußen 
halten. Aber auch ein wohlgemeintes patriotisches Buch („Ideen über 
die Bildung eines freien germanischen Staatenbundes“) verlangte die 
Bildung einer Föderation der Kleinstaaten unter Baierns Führung. Der 
Verfasser war wahrscheinlich der Leipziger Buchhändler Baumgärtner, 
Generalconsul des Königs von Preußen. Die unglaubliche Begriffsver— 
wirrung der beiden nächsten Jahrzehnte kündigte sich schon an in der 
charakteristischen Thatsache, daß sogleich nach dem Befreiungskriege ein 
wackerer, verständiger Deutscher in aller Unschuld den preußischen Staat 
als eine halbfremde Macht behandeln konnte! 
Die altpreußischen Provinzen verhielten sich gänzlich schweigsam in 
diesem Federkriege. Die Natur forderte ihre Rechte nach der krampfhaften 
Anspannung des ungleichen Kampfes; manche der Einsichtigen fühlten 
wohl auch, daß der Traum des preußischen Kaiserthums, der in den 
Kreisen der Freiwilligen so oft besprochen worden, für jetzt ganz unmög— 
lich blieb. Nur in den Deutschen Blättern des wackeren Leipziger Buch— 
händlers F. A. Brockhaus ward einmal eine Stimme laut, die den An— 
sprüchen Preußens einigermaßen gerecht wurde. Ein Artikel „Tantae 
molis erit Germanam condere gentem“ zeigte mit einer damals uner- 
hörten Nüchternheit: für den Einheitsstaat, der unser Ziel bleiben müsse, 
sei der rechte Augenblick noch nicht gekommen; von der Erneuerung der 
alten sogenannten freien Föderativverfassung könne man aber nichts An- 
deres erwarten als die Wiederkehr jener elenden Zeiten, da Deutschland 
„das allgemeine Wirths-, Werb= und Hurenhaus von ganz Europa war."“ 
Vorderhand bleibe den Deutschen lediglich die Aufgabe, den Ausbau der 
Freiheit im Innern zu sichern, und in dieser Hinsicht biete nur ein Staat 
Grund zur Hoffnung: Preußen. Der also schrieb wagte noch kaum 
zwischen den Zeilen anzudeuten, daß er von Preußen dereinst auch die 
Vollendung der nationalen Einheit erwartete.
	        
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