Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Die hundert Tage. 715 
der die glorreiche Tricolore und die weltbezwingenden Adler zurückbrachte, 
den verhaßten neuen Offizieren aus dem Emigrantenadel den Laufpaß 
gab? Hingerissen von einem Taumel der Begeisterung, überwältigt von 
der Macht wundervoller Erinnerungen folgte ein Regiment nach dem 
anderen dem lockenden Beispiele: die Zeit sollte wiederkehren, da der 
Praetorianer Alles war, der Bürger nichts. Die alte Garde umwand 
ihre Adler mit Flor und gelobte sie nicht eher zu enthüllen, als bis die 
Ehre des Kaiserreichs durch glänzende Siege an den Prussiens und den 
anderen Fremdlingen gerächt sei. Aber das Heer war nicht mehr Frank— 
reich, wie einst in den Tagen des achtzehnten Brumaire. Wenn sogar 
ein Theil der Offiziere, darunter einige der tüchtigsten Marschälle wie 
Oudinot und Macdonald, an dem großen Eidbruch theilzunehmen ver— 
schmähte, so sahen vollends die friedlichen Mittelklassen mit rathloser Be— 
stürzung dem Wiederaufsteigen dieser demokratischen Tyrannis zu, dereu 
sonderbar zweideutiges Wesen ihnen zugleich willkommen und bedrohlich 
schien. Die Restauration hatte an der napoleonischen Verfassung nichts 
Wesentliches geändert; sie zehrte, wie die Bonapartisten sagten, von „dem 
Capitale von Autorität“, das der erste Consul allen seinen Nachfolgern 
hinterlassen. Die schlagfertige Maschine der Präfectenverwaltung arbeitete 
stetig weiter. Der wohlmeinende König aber, dem die Gunst der Torys 
die Kurbel in die Hand gegeben, blieb den Personen, den Gefühlen und 
Gewohnheiten der neuen demokratischen Gesellschaft völlig fremd; und um 
ihn drängten sich die Artois und Blacas, die begehrliche Meute der 
Emigranten, die den Augenblick der Wiederaufrichtung des alten Adels— 
regimentes kaum erwarten konnten. Nicht allein die Mißgriffe der Krone, 
sondern mehr noch die unheimlichen Absichten, welche man ihren An— 
hängern zutraute und zutrauen mußte, erweckten den Haß des Volkes gegen 
die Bourbonen. 
Neben jenen Pilgern des Grabes, die sich um das Lilienbanner 
schaarten, erschien der rückkehrende Napoleon selbst den bürgerlichen Klassen 
als ein nationaler Held, ein Vertreter der vergötterten Ideen von 89. 
Aber sein Name bedeutete zugleich: Krieg. Der Instinct der Geschäfts- 
welt fühlte alsbald heraus, daß weder dieser Mann jemals Frieden hal- 
ten, noch die Nachbarmächte ihn ruhig gewähren lassen konnten. Sofort 
nach seiner Rückkehr ging die vortheilhafte Stellung, welche Talleyrand's 
Schlauheit der bourbonischen Krone in der Staatengesellschaft verschafft 
hatte, wieder verloren; Frankreich stand völlig vereinsamt, und vor den 
Augen der friedensbedürftigen Gesellschaft eröffnete sich die düstere Aus- 
sicht auf neue unabsehbare kriegerische Stürme. Zudem hatten die par- 
lamentarischen Institutionen der Charte rasch Boden gewonnen. Kaum 
war das Zeitalter des militärischen Ruhmes abgelaufen, so warf sich die 
Nation mit bewunderungswürdiger Lebenskraft wieder in die politischen 
und literarischen Parteikämpfe. Das Land freute sich an dem rednerischen
	        
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