Die hundert Tage. 715
der die glorreiche Tricolore und die weltbezwingenden Adler zurückbrachte,
den verhaßten neuen Offizieren aus dem Emigrantenadel den Laufpaß
gab? Hingerissen von einem Taumel der Begeisterung, überwältigt von
der Macht wundervoller Erinnerungen folgte ein Regiment nach dem
anderen dem lockenden Beispiele: die Zeit sollte wiederkehren, da der
Praetorianer Alles war, der Bürger nichts. Die alte Garde umwand
ihre Adler mit Flor und gelobte sie nicht eher zu enthüllen, als bis die
Ehre des Kaiserreichs durch glänzende Siege an den Prussiens und den
anderen Fremdlingen gerächt sei. Aber das Heer war nicht mehr Frank—
reich, wie einst in den Tagen des achtzehnten Brumaire. Wenn sogar
ein Theil der Offiziere, darunter einige der tüchtigsten Marschälle wie
Oudinot und Macdonald, an dem großen Eidbruch theilzunehmen ver—
schmähte, so sahen vollends die friedlichen Mittelklassen mit rathloser Be—
stürzung dem Wiederaufsteigen dieser demokratischen Tyrannis zu, dereu
sonderbar zweideutiges Wesen ihnen zugleich willkommen und bedrohlich
schien. Die Restauration hatte an der napoleonischen Verfassung nichts
Wesentliches geändert; sie zehrte, wie die Bonapartisten sagten, von „dem
Capitale von Autorität“, das der erste Consul allen seinen Nachfolgern
hinterlassen. Die schlagfertige Maschine der Präfectenverwaltung arbeitete
stetig weiter. Der wohlmeinende König aber, dem die Gunst der Torys
die Kurbel in die Hand gegeben, blieb den Personen, den Gefühlen und
Gewohnheiten der neuen demokratischen Gesellschaft völlig fremd; und um
ihn drängten sich die Artois und Blacas, die begehrliche Meute der
Emigranten, die den Augenblick der Wiederaufrichtung des alten Adels—
regimentes kaum erwarten konnten. Nicht allein die Mißgriffe der Krone,
sondern mehr noch die unheimlichen Absichten, welche man ihren An—
hängern zutraute und zutrauen mußte, erweckten den Haß des Volkes gegen
die Bourbonen.
Neben jenen Pilgern des Grabes, die sich um das Lilienbanner
schaarten, erschien der rückkehrende Napoleon selbst den bürgerlichen Klassen
als ein nationaler Held, ein Vertreter der vergötterten Ideen von 89.
Aber sein Name bedeutete zugleich: Krieg. Der Instinct der Geschäfts-
welt fühlte alsbald heraus, daß weder dieser Mann jemals Frieden hal-
ten, noch die Nachbarmächte ihn ruhig gewähren lassen konnten. Sofort
nach seiner Rückkehr ging die vortheilhafte Stellung, welche Talleyrand's
Schlauheit der bourbonischen Krone in der Staatengesellschaft verschafft
hatte, wieder verloren; Frankreich stand völlig vereinsamt, und vor den
Augen der friedensbedürftigen Gesellschaft eröffnete sich die düstere Aus-
sicht auf neue unabsehbare kriegerische Stürme. Zudem hatten die par-
lamentarischen Institutionen der Charte rasch Boden gewonnen. Kaum
war das Zeitalter des militärischen Ruhmes abgelaufen, so warf sich die
Nation mit bewunderungswürdiger Lebenskraft wieder in die politischen
und literarischen Parteikämpfe. Das Land freute sich an dem rednerischen