Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

772 II. 2. Belle Alliance. 
Königreich zurückriefen; sie war unerreichbar wenn man darüber mit einem 
befreundeten Könige verhandeln mußte. Mit gutem Grunde klagte Harden— 
berg, das eigenmächtige Verfahren der Briten habe die Coalition in einen 
„amphibischen Zustand“ versetzt.) 
Die beiden Kaiser wurden durch den glänzenden Erfolg des belgischen 
Feldzugs keineswegs angenehm überrascht. Das Heer des Czaren kam 
gar nicht mehr in's Feuer. Die Oesterreicher und die Süddeutschen be- 
gannen, nach einem unbedeutenden Gefechte bei Straßburg, einen sehr 
matten Belagerungskrieg gegen die elsässischen Festungen; Erzherzog Johann 
ward, von wegen der fast unblutigen Eroberung von Hüningen, durch 
die dankbaren Baseler wie ein anderer Napoleon gefeiert. Die anderen 
Plätze hielten sich ämmtlich. Das Volk bethätigte überall fanatischen Haß; 
mancher Nachzügler der verbündeten Heere ward unter unmenschlichen 
Martern umgebracht. In den Vogesen rotteten sich die Gebirgsschützen 
zusammen; die Schlettstätter ließen nachher die äußerst harmlosen Gräuel 
der Belagerung auf ihrem Rathhause in pathetischen Bildern verherrlichen. 
Genug, der österreichische Kriegsruhm hielt sich in den bescheidensten 
Grenzen. Kaiser Franz sagte zu den Offizieren des Blücher'schen Haupt- 
quartiers in seiner anbiedernden Weise: „Ihr Herren Preußen seid doch 
Taifelskerle;" und Metternich gestand dem Freiherrn vom Stein, ein 
österreichisches Heer hätte nach der Schlacht von Ligny mindestens sechs 
Wochen gebraucht um sich zu erholen — worauf Stein nachdrücklich er- 
widerte: „da sehen Sie was die sittliche Kraft vermag.“ Getreuer als in 
solchen Artigkeiten bekundete sich die wirkliche Stimmung der Hofburg in 
den hämischen Briefen Adam Müller's, der nicht genug witzeln konnte- 
über die auf den Boulevards berlinisirenden Blücher'schen Römer. 
Auch der Czar verbarg kaum, wie tief es ihn wurmte, daß die Bundes- 
genossen ihm allen Kriegsruhm vorweg genommen hatten. Sobald er sah, 
daß an der Herstellung der Bourbonen nichts mehr zu ändern war, gab. 
er seine orleanistischen Pläne sofort auf, hieß Pozzo di Borgo's eigen- 
mächtiges Verfahren nachträglich gut und bemühte sich wieder, durch 
Großmuth gegen Frankreich dem englischen Nebenbuhler den Rang abzu- 
laufen. Das hochherzige Pathos, worin er sich gefiel, zeigte jetzt eine 
eigenthümlich mystische Färbung. Unterwegs, in Heidelberg war er in die- 
Netze der bigotten Schwärmerin Frau von Krüdener gerathen, die ihn seit- 
dem nicht mehr los ließ. Die vielgefeierte Prophetin war im Grunde 
eine flache Natur; der alte Goethe meinte, als sie starb: „So ein Leben, 
wie Hobelspäne! Nicht einmal ein Häuschen Asche ist daraus zu gewinnen 
zum Seifensieden!“ Aber sie verstand sich in der Modesprache und den 
Modegefühlen der romantischen Zeit mit Anmuth zu bewegen, und Alexan- 
der's liebebedürftiges Herz sehnte sich nach süßerer Tröstung, als der dürre 
— — 
* Hardenberg's Tagebuch, 3. Juli 1815.
	        
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