Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

76 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
nicht bemerkt und nicht gewollt, begann unterdessen eine folgenreiche Ver- 
schiebung der socialen Machtverhältnisse. Die neue Literatur erzog ein 
aus allen Ständen gemischtes gebildetes Publikum; die Kaufleute und 
Gewerbtreibenden der größeren Städte, die bürgerlichen Pächter des aus- 
gedehnten Domaniums der Monarchie gelangten nach und nach zu ge- 
sichertem Wohlstande und zu einem kräftigen Selbstbewußtsein, das die 
Vorrechte des Adels auf die Dauer nicht mehr ertragen konnte. Der 
Adel verlor allmählich die sittlichen wie die wirthschaftlichen Grundlagen 
seiner Herrenstellung. Der Bau der alten ständischen Gliederung ward 
unmerklich untergraben. 
Auch die Verwaltungsorganisation des Vaters blieb unter dem Sohne 
unverändert, nur daß er den Provinzialdepartements des Generaldirec- 
toriums vier neue, den ganzen Staat umfassende, für Kriegsverwaltung, 
Handelspolitik, Berg= und Forstwesen, hinzufügte und also einen Schritt 
weiter that auf dem Wege zum Einheitsstaate. Die Krone stand noch 
immer hoch über ihrem Volke. Landdragoner mußten den Bauern an- 
halten die vom Könige geschenkten Saatkartoffeln zu verwenden; der Be- 
fehl des Landraths und der Kammer erzwang, gegen den zähen passiven 
Widerstand der Betheiligten, die Gemeinheitstheilungen und Entwässe- 
rungen, alle Fortschritte der landwirthschaftlichen Technik. Der völlig er- 
mattete Unternehmungsgeist der bürgerlichen Gewerbe konnte nur durch 
die gewaltsamen Mittel des Prohibitivsystems geweckt werden. Die Ge- 
brechen der fridericianischen Volkswirthschaftspolitik lagen nicht in dem 
Alles meisternden Beglückungseifer der Staatsgewalt, dem die Zeit noch 
keineswegs entwachsen war, sondern in den fiscalischen Künsten, wozu der 
König durch die Bedrängniß seines Haushalts genöthigt wurde; er mußte 
volle drei Viertel seiner ordentlichen Ausgaben für das Heer verwenden 
und suchte was am Nothwendigen fehlte durch die Monopolien und in- 
directen Steuern seiner Regie einzubringen. Das Finanzwesen glich in 
seiner Schwerfälligkeit noch einem großen Privathaushalte. Fast die 
Hälfte der regelmäßigen Einnahmen kamen aus den Domänen und Forsten; 
nur dieser reiche Grundbesitz des Staates ermöglichte ihm seine hohen 
Ausgaben, er diente zugleich zur technischen Erziehung des Landvolks. 
Die Summe der Hauptsteuern stand gesetzlich fest; für die außerordent- 
lichen Ausgaben der Colonisationen und Urbarmachungen mußte der be- 
wegliche Ertrag der Regie herangezogen werden. Der sorgsam vermehrte 
Schatz genügte für einige kurze Feldzüge; doch einen langen schweren Krieg 
konnte das alte Preußen ohne fremde Hilfsgelder nicht führen, da die 
Rechte der Landtage, die überlieferten Anschauungen des Beamtenthums 
und die Unreife der Volkswirthschaft jede Anleihe verboten. Wie kräftig 
auch der bürgerliche Wohlstand anwuchs, der weite Vorsprung der glück- 
licheren Nachbarvölker ließ sich so schnell nicht einholen. Der preußische 
Staat blieb noch immer die ärmste der Großmächte des Westens, im
	        
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