Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Politische Ermüdung. 5 
wieder. Aber obschon die fremden Mächte und die kleinen deutschen Höfe 
allesamt den nationalen Stolz und das frische geistige Leben dieses Volks- 
heeres voll Argwohns beobachteten, so blieb die streng monarchische Gesin- 
nung der Offiziere doch allen Parteibestrebungen völlig unzugänglich. Ihre 
Kameraden von der russischen Garde hatten in Frankreich zum ersten Male 
die Ideen der Revolution kennen gelernt und von dort radikale Anschau- 
ungen mit heim genommen, welche nachher in törichten Verschwörungen 
ihre Früchte trugen. Auf die preußischen Offiziere dagegen wirkte der 
Anblick des allgemeinen Eidbruchs und der wilden Parteikämpfe der Fran- 
zosen nur abschreckend; sie fühlten sich wieder, wie in den neunziger Jah- 
ren, stolz als Gegner der Revolution, sie rühmten sich der alten preußi- 
schen Königstreue und schätzten die neue konstitutionelle Doktrin schon 
darum gering, weil sie aus Frankreich stammte. Selbst Gneisenau, der 
noch vorm Jahre die schleunige Vollendung der preußischen Verfassung 
gefordert hatte, kehrte mit veränderter Gesinnung heim und riet drin- 
gend, die Ausführung solcher Entwürfe nur langsam reifen zu lassen.“) 
Der einzige politische Gedanke, der in den Briefen und Gesprächen dieses 
Heeres mit Leidenschaft erörtert wurde, war die Hoffnung auf einen 
dritten punischen Krieg, der den Deutschen endlich ihre alte Westgrenze 
und eine angesehene Stellung unter den Völkern zurückbringen sollte. 
Ungleich erregter zeigte sich die Stimmung der jungen Freiwilligen, 
die jetzt von den Regimentern zu den Hörsälen der Hochschulen zurück- 
kehrten. Vaterländische Begeisterung und religiöse Schwärmerei, Groll 
über den faulen Frieden und unklare Vorstellungen von Freiheit und 
Gleichheit, die man unbewußt zumeist von den verachteten Franzosen ent- 
lehnt hatte, das Alles brodelte in den Köpfen dieser teutonischen Jugend 
wirr durcheinander und erzeugte eine edle Barbarei, die nur noch die 
Tugenden des Bürgers gelten ließ und sich zu dem Ausspruch Fichtes 
bekannte: besser ein Leben ohne Wissenschaft, als eine Wissenschaft ohne 
Leben. Indes der überspannte Nationalstolz des Teutonentums wider- 
sprach allzusehr der freien Weitherzigkeit unseres weltbürgerlichen Volkes, 
das gar nicht vermag, auf die Dauer gegen fremdes Wesen ungerecht zu 
sein; die zur Schau getragene Verachtung aller Anmut und feinen Bil- 
dung war allzu undeutsch, das ganze halb kindlich rührende, halb lächer- 
liche Gebaren dieses anmaßlichen Studentenstaates trug allzusehr den 
Charakter des Sektenwesens, als daß sein politischer Fanatismus hätte 
auf weite Kreise wirken können. Es blieb bei der alten Regel, daß die 
Fünfzig= und Sechzigjährigen die Welt regieren. Unter den älteren Män- 
nern aber fanden die politischen Wächterrufe der patriotischen Schrift- 
steller zwar vereinzelte Zustimmung; die starke Leidenschaft, welche die 
Tat gebiert, erweckten sie nicht. 
  
*) Gneisenau an Müffling, 25. März 1816.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.