184 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
der alten Provinzen nannte den König jetzt schon, da er noch in der Kraft
der Mannesjahre stand, kurzweg den alten Herrn und wußte tausend Ge—
schichten von seiner verlegenen und doch so herzlich wohltuenden Leut—
seligkeit. Seine Berliner lebten mit ihm und erwarteten als ihr gutes
Recht, daß er häufig in seinem einfachen Soldatenüberrocke durch den
Tiergarten ging, daß er mittags, wenn die Wachtparade aufzog, an dem
allbekannten Eckfenster seines unscheinbaren Palastes sich zeigte und abends
halb versteckt in seiner Loge einem Lustspiel, einer Oper oder einem Ballet
zusah — denn die Tragödie liebte er wenig, weil das Leben selbst des
Traurigen genug biete.
Die Erfahrungen einer großen Zeit hatten sein Selbstgefühl etwas ge—
kräftigt; er erschien fester und sicherer, aber auch noch ernster und schweig—
samer als vor Jahren. Eine stille Trauer lag auf seinen freundlichen
Zügen und schwand nur selten, wenn er etwa seinen lebensfrohen Kindern
und dem Großfürsten Nikolaus auf der Pfaueninsel ein ländliches Fest
gab. Der bequeme Rationalismus seiner Jugendbildung genügte ihm
längst nicht mehr; schon während der schweren Tage in Königsberg hatte
er in einem festen Bibelglauben seinen Trost gefunden und sich mit dem
ehrwürdigen Bischof Borowsky befreundet. Jetzt wuchs in ihm von Jahr
zu Jahr die Sehnsucht nach dem Ewigen, fromme Betrachtungen und
theologische Studien füllten einen guten Teil seiner freien Stunden aus.
Obschon er den Gram um seine verlorene Gattin nie verwinden konnte,
so widerfuhr ihm doch was gerade den tief gebeugten Witwern häufig ge-
schieht: die Einsamkeit des ehelosen Lebens ward ihm unerträglich. Er
faßte eine lebhafte Neigung für eine liebenswürdige junge Französin, die
Gräfin Dillon, die seine Liebe leidenschaftlich erwiderte, und dachte eine Zeit
lang ernstlich an eine Ehe zur linken Hand — denn für sein Volk sollte
Königin Luise immer die Königin bleiben. Aber er wollte nicht, daß seine
Preußen an ihrem Könige irr würden, und da er in Gewissensfragen dem
Rate seines leichtlebigen Staatskanzlers nicht traute, so ließ er zwei
Männer, von denen er eine rückhaltslos freimütige Antwort erwartete,
Gneisenau und Schön vertraulich befragen, wie man im Heere und im
Volke die Heirat mit der katholischen Französin aufnehmen würde. Als
beide übereinstimmend abrieten, gab der König tief erschüttert seine Pläne
auf. Trüb und eintönig verflossen ihm die Tage. Er erledigte jede Ein-
gabe mit der alten Pünktlichkeit, nach gewissenhafter Prüfung, und be-
hielt das Ruder immer in der Hand, jedoch der persönliche Verkehr mit
seinen höchsten Beamten blieb dem Schüchternen unbequem; den Staats-
kanzler sah er selten, noch seltener die Minister.
Weit näher stand dem Könige sein täglicher Begleiter, der Oberst Job
von Witzleben, der im Jahre 1816 kaum dreiunddreißig Jahre alt die Lei-
tung des Militärkabinetts erhielt, zwei Jahre darauf zum Generalmajor
und Generaladjutanten ernannt wurde. Welch ein Abstand zwischen der