Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Die literarische Geselligkeit. 13 
und der Forschung, und wenn es auch aus dem gescholtenen Frankreich 
kam. Trotz der mystischen Schwärmerei der Zeit bewahrte man sich die 
alte weitherzige Duldsamkeit. Die Gegensätze des religiösen Lebens hatten 
sich noch nicht verhärtet; sie griffen noch nicht, wie heutzutage, verfälschend 
und verbitternd in die politische Parteiung ein. Niemand verwunderte 
sich, wenn ein Liberaler zugleich ein streng kirchlicher Christ war. Jeder— 
mann fand es in der Ordnung, daß die katholische Geistlichkeit der Ein— 
weihung einer evangelischen Kirche mit beiwohnte; selbst eifrige Konvertiten 
wie F. Schlegel, Stolberg, Klinckowström blieben mit einem Teile ihrer 
alten protestantischen Freunde in herzlichem Verkehr. Der Kampf der 
literarischen Parteien schloß die Anerkennung des menschlichen Wertes 
der Gegner, die herzliche Freude über jeden glücklichen Fund nicht aus. 
Die lärmende Jugend brüstete sich mit ihrer germanischen Sittenstrenge; 
die reiferen Männer zeigten in ihrem sittlichen Urteile eine vornehme, frei- 
sinnige Milde, die in Wahrheit weit deutscher war. Nachsichtig gegen 
die menschliche Schwäche, legten sie geringen Wert auf den korrekten 
Lebenswandel, der dem prüden Sinne der Gegenwart als das einzige 
Kennzeichen der Sittlichkeit gilt, und ließen einen heißblütigen Freund 
gern gewähren, wenn er nur mithalf bei der Arbeit freier Menschenbil- 
dung und den Glauben an die göttliche Bestimmung unseres Geschlechts 
nicht verlor. 
Nicht ohne Grund sahen die Poeten und Gelehrten mit Ironie auf 
die Prosa des Philistertums hernieder; sie lebten in der Tat inmitten 
einer freien geistvollen Geselligkeit, welche das Leben durch das heitere 
Spiel der Kunst zu adeln wußte und das Schillersche Ideal der ästheti- 
schen Menschen-Erziehung annähernd verwirklichte. Briefwechsel und Ge- 
spräch, die natürlichen Vermittler der Tageseindrücke, waren noch nicht 
durch die Zeitungen verdrängt. Noch bestand die Grundlage aller gesel- 
ligen Anmut, der zwanglose und häufige Verkehr zwischen den beiden 
Geschlechtern, da die Frau den Gedanken des Mannes noch ganz zu folgen 
vermochte. Keine Stadt im Reiche, die nicht ihre Kunstkenner, Sammler 
und Kritiker, ihre Liebhabertheater und ästhetischen Kränzchen besaß. 
Wenn das muntere kleinstädtische Völkchen sich beim trüben Schimmer 
der Talglichter zum einfachen Mahle versammelte, dann steuerten 
Alle bei was sie vermochten an Rätseln und guten Einfällen, an Liedern 
und gereimten Trinksprüchen — denn für den poetischen Hausbedarf wußte 
jeder gebildete Deutsche längst selber zu sorgen. Eine heitere Sinnlichkeit 
erwärmte das gesellige Leben; beim Pfänderspiele war noch ein Kuß in 
Ehren erlaubt; die frei und doch gut häuslich erzogenen jungen Mädchen 
gestanden noch arglos ein, daß ihnen das Käthchen von Heilbronn so recht 
im Herzen wohlgefiel. Und wie viel Geist und Witz, wie viel übermütige 
Laune und schwärmerische Begeisterung regte sich in den engeren Kreisen 
der Eingeweihten: wenn Ludwig Devrient und Callot-Hoffmann in der
	        
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