Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

242 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. 
darauf am 27. Sept. 1817 veröffentlicht wurde. In schlichten Worten 
verkündigte der König seinen Entschluß, am Reformationsfeste gemeinsam 
mit den Lutheranern zum Abendmahl zu gehen; er denke damit im Geiste 
des Protestantismus, nach den Absichten seiner Vorfahren und der Re- 
formatoren selbst zu handeln. Nicht der Übergang der einen Kirche zu 
der andern sei beabsichtigt, sondern beide sollten eine neu belebte evangelisch- 
christliche Kirche werden; aus der Freiheit eigener Überzeugung, nicht aus 
Überredung oder Indifferentismus müsse die Wiedervereinigung hervor- 
gehn. Sein Beispiel, so hoffe er, werde wohltuend auf alle protestanti- 
schen Gemeinden im Lande wirken und eine allgemeine Nachfolge im Geiste 
und in der Wahrheit finden. Der Eindruck der herzlichen Ansprache war 
tief und nachhaltig. Die unter Schleiermachers Vorsitze versammelte bran- 
denburgische Synode erklärte sofort ihre Zustimmung, und der ehrwürdige 
Sack, der während dieser bewegten Tage starb, schied von der Erde mit 
der frohen Ahnung, daß die Saat seines Lebens jetzt aufging. 
Am 31. Oktober strömte überall im Lande das protestantische Volk 
zu den festlich geschmückten Kirchen. In Berlin reichte Schleiermacher 
nach dem gemeinsamen Abendmahle dem Lutheraner Marheineke vor dem 
Altar die Hand. In der Potsdamer Garnisonkirche empfing der König 
mit seinem Hause und unzähligen Genossen beider Bekenntnisse das Sakra- 
ment; tags darauf legte er in Wittenberg den Grundstein für das Stand- 
bild des Reformators. Welch ein Gegensatz zu den beiden ersten Jubel- 
festen der Reformation! Vor zweihundert Jahren stand das Unwetter des 
großen Krieges drohend am Himmel, hundert Jahre darauf war die Kirche 
völlig verarmt an geistiger Kraft, und jetzt gelang ihr wieder eine schöpferische 
Tat, eine Tat der Versöhnung. Das Erwachen des historischen Sinnes 
hatte auch auf das kirchliche Leben segensreich zurückgewirkt. Luther er- 
schien seinem Volke nicht mehr, wie in den Tagen des alten Rationalismus, 
bloß als der Bekämpfer Roms; das neue Geschlecht begann auch die auf- 
bauende Tätigkeit der Reformation wieder dankbar zu würdigen. Ein 
frommer Sinn beseelte unverkennbar die meisten der Festschriften des Tages. 
Das katholische Volk nahm an der friedlichen Feier wenig Argernis, ob- 
gleich es an Hader nicht ganz fehlte und die Streitschrift des katholischen 
Pfarrers van Eß eine Reihe gereizter Erwiderungen hervorrief. Der Ge- 
danke der Union ergab sich so notwendig aus der Geschichte des deutschen 
Protestantismus, daß Friedrich Wilhelms Beispiel bald fast in sämtlichen 
Gemeinden seines Landes und dann auch in anderen deutschen Staaten 
freiwillige Nachfolge fand. Schon im August 1818 wurde in der Stifts- 
kirche zu Kaiserslautern feierlich verkündigt, daß die Union für die bayrische 
Pfalz durch Abstimmung aller Gemeinden angenommen sei, und hier aller- 
dings hatte die kirchliche Gleichgültigkeit einigen Anteil an dem Gelingen; 
viele der aufgeklärten Pfälzer fragten einfach, ob die Union die Kirchen- 
steuern erhöhen werde, und stimmten zu sobald man sie darüber be-
	        
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