Die Verordnung vom 22. Mai 1815. 281
seitigt, der Bau der neuen Verfassungen erhob sich hier auf einer kahlen
Fläche; nur in Württemberg versuchten die aufgehobenen Stände ihre
Rechte wiederzuerlangen. In Preußen aber hatten sich fast überall noch
schwache Reste der alten Territoriallandtage erhalten. Da rief plötzlich
die vieldeutige königliche Verheißung uralte längstvergessene Ansprüche in
den kraftlosen Körpern wach; der Schutt und Moder der Jahrhunderte
stäubte durch die Luft. Der Kampf der Staatseinheit gegen die Klein-
staaterei, nahezu ausgefochten auf dem Gebiete der Verwaltung, erneuerte
sich in der Verfassungsfrage. Während die Masse des Volkes in tiefer
Abspannung verharrte, fanden allein die altständischen Ansprüche rührige,
tatkräftige Verteidiger, und da den Völkern nur geschenkt wird, was sie
sich selbst verdienen, so erschienen die alten Landstände mächtiger als sie
waren und errangen schließlich noch einen halben Erfolg.
Welch ein Abstand, wenn man hinüberblickte von der monarchischen Ver-
waltung Preußens zu seinen Landständen! Dort alles Einheit, Ordnung,
Klarheit, hier ein unübersehbares Durcheinander, fast jedes Recht bestritten.
Die ständischen Landschaften deckten sich nirgends mit den Verwaltungs-
bezirken des Staats; ihre Verfassung ruhte durchgängig auf den privat-
rechtlichen Gedanken des Patrimonialstaats, war von den Rechtsbegriffen
des modernen Staats durch eine weite Kluft getrennt; nirgends bestand
eine Vertretung aller Klassen. Die Befugnisse der Stände beschränkten
sich zumeist auf die Verwaltung der ritterschaftlichen Kreditanstalten und
Feuersozietäten, auf die Repartition einiger Steuern u. dgl. Weitaus am
kräftigsten hatte sich das alte Ständewesen in Ostpreußen behauptet, weil
hier doch ein Teil der Bauern, die Kölmer, im Landtage vertreten war.
Noch im Frühjahr 1813 hatte der Königsberger Landtag seine Tüchtigkeit
erprobt, und recht aus dem Herzen ihrer Landsleute erklärten die Stände
des Mohrunger Kreises dem Staatskanzler: diese alte von den Vorfahren
ererbte Verfassung sei allein dem deutschen Nationalgeist angemessen.)
In Westpreußen dagegen waren alle ständischen Befugnisse zweifelhaft.
Nachdem Friedrich der Große die alten polnischen Stände aufgehoben, hatte
sein Nachfolger in seinem Gnadenjahre eine Verordnung über die stän-
dischen Rechte erlassen. Sie blieb unausgeführt. Während der Kriegs-
jahre berief die Regierung mehrmals ständische Versammlungen, deren
Zusammensetzung sie selber bestimmte. Was in Wahrheit zu Recht be-
stehe, wußte niemand zu sagen, noch weniger, ob Danzig und die War-
schauer Landesteile, die jetzt zu der Provinz hinzutraten, einen Anteil
an den ständischen Rechten beanspruchen durften.
In Pommern bestanden noch dem Namen nach die hinterpommersche
und die vorpommersche Landstube, eine Vertretung der Prälaten, der Ritter-
schaft und der Immediatstädte, ohne jede Teilnahme der Bauern und
*) Eingabe der Mohrunger Kreisstände, 4. Sept. 1816.