Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

330 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe. 
des Kaiserreichs wieder eine gesicherte bürgerliche Ordnung erlangt. Nir— 
gends auf deutschem Boden zog die Revolution tiefere Furchen. Was 
über die Tage der Franzosenherrschaft hinauslag galt den Pfälzern als 
finsteres Mittelalter, selbst die vormals Wittelsbachischen Landesteile 
dachten kaum noch ihres alten Fürstenhauses. Der Adel war verschwun— 
den, die alte Gliederung der Stände völlig vernichtet; auch die neuen 
Reichen, die Flaschenbarone, die beim Verkaufe der Nationalgüter in den 
Besitz der gesegneten Weingelände der Hardt gelangt waren, mußten sich 
dem bürgerlichen Brauche dieses durch und durch modernen Landes fügen. 
Die französischen Grundsätze der sozialen Gleichheit und des freien 
wirtschaftlichen Wettbewerbs waren den Pfälzern in Fleisch und Blut 
gedrungen. In den städtischen Dörfern an der Hardt gedieh eine speku— 
lative Kleinwirtschaft, die jeden Winkel Landes verwertete und der 
freien Teilbarkeit des Bodens nicht entbehren konnte; der gewitzte 
pfälzische Bauer trug das städtische Kamisol und rühmte sich, daß ihm 
selbst der Ochs kalben müsse. Alle Konfessionen wohnten bunt durch 
einander, und über allen lag ein Hauch von kalvinischer Nüchternheit 
und nachsichtiger Aufklärung; nach so vielen Glaubenswechseln hatte 
man endlich gelernt einander zu ertragen. Nachdem die Stürme der 
neunziger Jahre verrauscht waren, erfuhr die Pfalz wenig mehr von den 
Schrecken des kriegerischen Zeitalters. Das fleißige Völkchen verstand 
von dem großen französischen Markte seinen Vorteil zu ziehen; die 
Gastwirte und Posthalter sahen nie wieder so fette Zeiten wie damals, 
da alle Potentaten der Welt jahraus, jahrein auf der Reise nach Paris 
dies Durchgangsland besuchten. Der Münchener Hof wußte wohl, wie 
ungern die Pfalz sich von Frankreich trennte, und da er selbst noch lange 
hoffte, diese entlegene Provinz gegen die rechtsrheinische Pfalz zu vertau- 
schen, so ließ der neue Gouverneur Zwackh fast alle Institutionen des 
Landes vorläufig unberührt. Auch als jene Hoffnung endlich aufgegeben 
werden mußte, zeigte sich die Regierung zu furchtsam und zu arm an 
schöpferischer Kraft, um noch etwas Wesentliches zu ändern. Nicht bloß 
der Code Napoleon blieb der Provinz erhalten, sondern auch das ge- 
samte System der französischen Verwaltung; jede Warnungstafel auf 
der Landstraße erinnerte den Fuhrmann an das Gesetz über die voieries 
bubliques. Was hatte auch Altbayern diesem Lande zu bieten? Neben 
der rein bureaukratischen und doch schwerfälligen Verwaltung der alten 
Provinzen erschien die schlagfertige Ordnung des Präfektursystems immer- 
hin als ein Glück. 
So blühte denn ein deutsch-französisches Sonderleben ungestört in 
einem Lande, wo jede Burgruine an die Untaten der Franzosen er- 
innerte. Noch lebhafter als in den preußischen Rheinlanden begeisterte 
sich der Partikularismus hier für die fremden Gesetze. Alles Franzö- 
sische galt für unantastbar, weil es pfälzisch war und als ein Kleinod
	        
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