336 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
manne immer als das Schrecklichste erschien: die Einheit Deutschlands.
Bis dahin galt es zu lauern und zu lavieren. Die phantastischen Einfälle
bajuvarischer Selbstüberschätzung betörten seinen kühlen Kopf nur auf
Augenblicke. Nichts schien ihm kindischer als der Wahn, daß ein Verein
von Ohnmächtigen jemals eine Macht bilden könne; darum wies er alle
die Entwürfe für einen Sonderbund der deutschen oder der europäischen
Mittelstaaten, wie sie in Stuttgart ausgebrütet wurden, lächelnd zurück.
Auch die pfälzischen Pläne des Kronprinzen bekämpfte er von vornherein
als aussichtslos.
Ein seltsames Freundespaar: der behäbige, aufgeknöpfte, volkstüm-
lich schlichte König, und neben ihm die höfische Gestalt des klugen Ministers
— eine ganz altfranzösische Erscheinung, mit gepudertem Haar, in ge-
sticktem rotem Galakleid und langen seidenen Strümpfen; scharfe und
doch unstete braune Augen, eine überhängende mächtige Nase über dem
großen, faunischen Munde, in allen Zügen der Ausdruck durchdringenden
Verstandes. An dem frivolen Tone, der die Münchener vornehme Welt
beherrschte, trugen Montgelas und seine Gemahlin reichliche Mitschuld;
sein kleines Schloß in Bogenhausen am Englischen Garten bot den
Skandalsüchtigen unerschöpflichen Stoff. Für die Taten der neuen deut-
schen Literatur und Kunst konnte sich der alte Illuminat niemals recht
erwärmen; jedoch er wußte, daß die Wissenschaft für die Reform des
Staates unentbehrlich war, und mochte auch bei seinen Tafelfreuden das
belebende Gespräch geistreicher Gelehrten nicht missen. Wohl ward er
herrschsüchtig durch den langen Genuß der Macht, aber kleinliche Eitelkeit
lag ihm fern; neben dem verlogenen Selbstlobe der Aufzeichnungen Metter-
nichs hinterläßt das gehaltene Selbstgefühl, das aus Montgelas' Denk-
würdigkeiten spricht, einen wohltuenden Eindruck.
Auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens hatte der despotische
Volksbeglücker einen radikalen Umsturz vollzogen; aber die neue Ord-
nung zeigte noch überall Lücken und Widersprüche, überall die Spuren
überhasteter Arbeit. Noch am glücklichsten war die Reform des Unter-
richtswesens gelungen. Die Volksschule war der Herrschaft der römischen
Kirche entrissen, die seit 1802 eingeführte allgemeine Schulpflicht begann
sich langsam einzubürgern. Die mittleren Unterrichtsanstalten standen
unter der Leitung Niethammers, eines wackeren Vorkämpfers der streng-
klassischen Bildung; auf dem Münchener philologischen Seminar erzog
der Thüringer Friedrich Thiersch in vieljähriger treuer Arbeit einen Stamm
von tüchtigen Lehrern, so daß ein Hauch von dem idealistischen Geiste
dieses praeceptor Bawariae allmählich in die meisten Gymnasien des
Landes drang. Zu den Universitäten Landshut und Erlangen trat jetzt noch
Würzburg mit dem reichen fürstbischöflichen Juliushospital hinzu, eine wich-
tige Pflanzstätte der medizinischen Wissenschaft. Der dumpfe Schlummer
der alten Zeiten der Glaubenseinheit war für immer überwunden.