Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

30 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre. 
liche, das zu jeder Zeit Lebendige und vor allem das Heimatliche, die 
einfältige Kraft und Herzenswärme des unverbildeten germanischen We- 
sens; das Forschen in den Sagen und Liedern unseres Altertums galt 
ihm als „ein rechtes Einwandern in die tiefere Natur des deutschen 
Volkslebens“. Er fühlte, daß der Dichter, auch wenn er entlegene Stoffe 
behandelt, nur solche Empfindungen aussprechen darf, die in der Seele 
der Lebenden widerklingen, und blieb sich des weiten Abstandes der Zeiten 
klar bewußt. Niemals hat ihn die Freude an der Farbenpracht des Mit- 
telalters den protestantischen und demokratischen Gedanken des neuen Jahr- 
hunderts entfremdet. Derselbe Dichter, der so rührend von den Gottes- 
streitern der Kreuzzüge sang, pries auch den Baum von Wittenberg, der 
mit Riesenästen, dem Strahle des Lichtes entgegen, zum Klausendach hinaus- 
wuchs, und gesellte sich freudig zu den streitbaren Sängern des Befreiungs- 
krieges und beugte sich demütig vor der Heldengröße des neuerstandenen 
Vaterlandes: 
Nach solchen Opfern heilig großen 
Was gälten diese Lieder dir? 
Mit kräftigem Spotte kehrte er der Aftermuse der romantisch süßen 
Herren, der Assonanzen= und Sonettenschmiede den Rücken zu und hielt 
sich an den Wahlspruch der Altvorderen: „schlicht Wort und gut Gemüt 
sind das echte deutsche Lied.“ Die anschaulichen, volkstümlichen Aus- 
drücke strömten dem Sprachgewaltigen von selber zu. So leicht erklangen 
seine ungekünstelten Verse, so frisch und heiter schwebten seine Gestalten 
dahin, daß die Leser gar nicht bemerkten, wie viel Künstlerfleiß sich hinter 
der tadellosen Reinheit dieser einfachen Formen verbarg, wie tief der 
Dichter in die Schachte der Wissenschaft hatte hinabsteigen müssen bis 
ihm Klein Roland und Taillefer, Eberhard der Rauschebart und der Schenk 
von Limburg so vertraut und lebendig wurden. Für seine Erzählungen 
wählte er mit Vorliebe die dem leidenschaftlichen germanischen Wesen 
zusagende Form der dramatisch bewegten Ballade, nur selten, wo es die 
Natur des Stoffes gebot, die ruhig berichtende, ausführlich schildernde 
südländische Romanze. Nicht die Begebenheit war ihm das Wesentliche, 
sondern ihr Widerschein in dem erregten Menschenherzen. Jede Falte 
des deutschen Gemüts lag ihm offen, und wunderbar glücklich wußte er 
zuweilen mit wenigen anspruchslosen Worten ein Herzensgeheimnis un- 
seres Volkes zu offenbaren. Einfacher als in dem Gedichte von dem 
treuen Kameraden ist nie gesagt worden, wie den streitbaren Germanen 
seit der Cimbernschlacht bis zu den Franzosenkriegen im Schlachtgetümmel 
immer zu Mute war: so kampflustig und fromm ergeben, so liebevoll 
und so treu. 
Die Kraft der Empfindung drängte sich auch in seinen erzählenden 
Dichtungen so stark hervor, daß manche Gedichte, die er selber Balladen 
nannte, bald als Lieder in den Volksmund übergingen. Denn seinen
	        
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